Der kapitalistisch imprägnierte Mittelstand lässt sich durch nichts aufhalten: Die Sonne mag brennen, der Schnee wirbeln, der Regen prasseln – die zwei Paare in Yasmina Rezas Komödie „Der Gott des Gemetzels“, die sich treffen, um über die handfeste Auseinandersetzung ihrer Söhne zu reden und dann selbst in Streit geraten, machen in Tristan Linders Inszenierung immer weiter. Das Zögern beim Betreten der Spielfläche aus vier Sesseln, Tischchen und einer rückwärtigen Begrenzung in Lattenoptik (Bühne: Sebastian Bolz) dauert nicht lange, bis der Stellungskrieg beginnt. Reza buchstabiert ihn zunächst über den Abgleich von Berufen und Status durch, die Inszenierung verlängert das ins Emotionale: Kuschelt das eine Paar, kuschelt das andere doller. Zudem treibt Lindner die mechanische Dramaturgie des Gegeneinanders der Paare, Ehepartner bzw. Geschlechter weiter in den Slapstick.
Da entwickelt sich ein Ordnungsversuch auf dem Beistelltisch zum Total-Chaos. Der Föhn wiederum, der die Kotze über Kunstbänden trocknen soll, ist ein gewaltiges Gebläse. Lola Klamroth und Alexander Angeletta sowie Sabine Waibel und Jörg Ratjen geben den Paaren die nötige emotionale und psychische Wucht, die allmählich den dünn gewirkten bürgerlichen Firnis aufbrechen lässt. Was darunter zum Vorschein kommt, ist keineswegs Archaik, sondern zutiefst verinnerlichte kapitalistische Konkurrenzlogik, die am Ende eben auch noch den Wettkampf der Söhne als frühe Schule des Wettkampfs grundiert hat. Zwar überschüttet Linder das Paar-Duett am Ende mit einer Regendusche, aber der mittelständische Gott des Gemetzels lässt sich nicht abkühlen …
Der Gott des Gemetzels | 2., 5., 11., 28., 29.3. | Depot 1, Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Tausch zwischen Wien und Köln
Kay Voges wird Intendant des Kölner Schauspiels – Theater in NRW 09/23
Interims-Intendant für den Neuanfang
Rafael Sanchez leitet ab 2024 das Schauspiel Köln – Theater in NRW 06/23
Frauen und Krieg
„Die Troerinnen“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 06/23
„Grenzen überschreiten und andere Communities ins Theater holen“
Sarah Lorenz und Hanna Koller über das Festival Britney X am Schauspiel Köln – Premiere 06/23
Raum für Weichheit
„Die Troerinnen“ am Schauspiel Köln – Prolog 04/23
Narzisstisches Manager-Kunstturnen
„Johann Holtrop“ am Schauspiel Köln – Auftritt 04/23
„Das ist der Vitamin B-Weg“
Dennis Nolden inszeniert „Judith Shakespeare“ am Schauspiel Köln – Premiere 04/23
Wiedergeburt 2.0
„Meta-Sleep“ am Schauspiel Köln
Irgendwie dazwischen
„Exil“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/23
Hamsterrad des Lebens
„Helges Leben“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/23
Welt für Riesen
„Vor Sonnenaufgang“ am Schauspiel Köln – Auftritt 02/23
Vorstädtisches Lustmanagement
„Phaedra“ am Schauspiel Köln – Auftritt 01/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Das digitale Paradies
Ensemble 2030 im Theater der Keller – Theater am Rhein 07/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
Identitäre Spiegelungen
„Der blinde Fleck“ in der Orangerie – Theater am Rhein 06/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Erziehung zur Empathielosigkeit
„Das große Heft…“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 05/23
Kreativität des Erinnerns
subbotnik: „Haus/Doma/Lustdorf“ – Theater am Rhein 04/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Stupende Aktualität
„Das große Heft“ in der Orangerie – Theater am Rhein 04/23
Politische Wucht
„Cotton Club“ in Bonn – Theater am Rhein 03/23
Die Ehre, sterben zu dürfen
„Leutnant Gustl“ am Bauturm-Theater – Theater am Rhein 02/23
Wohlstandspöbel
„Downgrade Prometheus“ von Trafique – Theater am Rhein 02/23