Eine Trauerweide, Seerosen, ein Teich, eine Bogenbrücke – eh voilá, das Refugium von Claude Monet in Giverny steht vor uns. Der idyllische Rückzugsort (Bühne: Martin Miotk) liegt allerdings eingepfercht in einem grauen Salon. Hier lebt Monsieur Argan, der sich in seinem riesigen roten Mantel für schwer krank hält. Molières Komödie „Der eingebildete Kranke“ wird in Bonn in einer Bearbeitung von Martin Heckmanns gespielt. Klistiere und Einläufe gibt es nach wie vor, doch Argan (Daniel Stock) leidet an der Unordnung und Undurchschaubarkeit der gesamten Welt und sehnt sich nach Sicherheit. So lächerlich die Figur scheinen mag, ihr Leiden an der Welt ist es nicht. Weit absurder als Argan gebärdet sich seine Umgebung: der bronzierte Kardashian-Chic von Tochter Angélique und zweiter Ehefrau Béline, die medizinische Biederkeit von Doktor Purgon und seinem Sohn oder Angéliques durchgeknallter Lackhosen-Geliebter Cléante. Alle sind gierig auf Geld, Macht, Konsum.
So viel Groteske nivelliert die Komik in Simone Blattners Inszenierung gelegentlich allzu sehr. Das Dienstmädchen Toinette (Annika Schilling) mit ihren sozial deklassierenden strähnigen Haaren und der Zahnlücke fungiert als intriganter Motor, die Argan als verkleideter Arzt durch Arbeit kuriert und ihn von dem Gedanken abbringt, Angélique mit dem Arztsohn zu verheiraten – was angesichts der strassbehängten konsumgeilen Tochter unlogisch bleibt. Am Ende wird es dann unangenehm moralisch, wenn Argans bodenständige Schwester Béralde einen kulturkritischen Rundumschlag wagt. 100 Minuten nette Unterhaltung.
„Der eingebildete Kranke“ | R: Simone Blattner | 10., 15., 18.1. je 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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