„Ich mache meine Interviews mit fünf Wörtern: Tod Verzweiflung Selbstmord, Scheitern, Angst“, so pathetisch formulierte André Müller, der in den 1970er und 1980er Jahre so etwas wie der Gott des feuilletonistischen Beichtstuhls war, sein journalistisches Credo. Unter dem Titel „Das süße verzweifeln“ hat der junge Regisseur Emanuel Tandler die im Netz verfügbaren Interviews von Müller zu einem Theaterabend verarbeitet, der zunächst einmal das nachholt, was Müller in seinen Interviews eher verklausuliert preisgab: Er spricht über sich selbst, seine Herkunft, seine Kindheit, ohne leiblichen Vater, vulgo seinen Narzissmus.
Müller entblößt sich und könnte nicht angezogener sein: Matthias Lühn, Melanie Lüninghöner, Philipp Sebastian, Susanne Seuffert tragen uniforme beige-graue Anzüge als gesellschaftliche Rüstung. Rasenballen, Vitrine mit Bäumchen, Vögeln und Geige, Klavier und Kühlschrank deuten ein Setting an zwischen Ausstellung, Bürgerlichkeit und Alltag. Das Quartett spricht mal im Chor, zappelt wie Marionetten, verstrickt sich in den Bändern einer Audiokassette, hält Vorträge. Dazwischen geschnitten haben Tandler und Videoregisseurin Sandra Riedmair ein am Tisch nachgestelltes Interview mit Alice Schwarzer (gespielt von Laura Sundermann), das eher einem absurden Zweikampf als einem Gespräch ähnelt.
Das zum Premierentermin gestreamte 30-minütige Best-of des Abends gibt einen ersten Eindruck der Inszenierung. Auch wenn die ausgewählten Szenen zunächst viel szenische Konvention offenbaren, macht vor allem der absurde Witz Lust auf die Bühnenversion.
Das süße Verzweifeln | R: Emanuel Tandler | Mi 17.3. 20 Uhr (geplant) | Theater der Keller | 0221 31 80 59
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24
Einstürzende Bergwelten
„Monte Rosa“ am Theater der Keller – Prolog 02/24
Schleudergang der Pubertät
„Frühlings Erwachen: Baby, I‘m burning“ am Theater der Keller – Auftritt 11/23
Komik der Apokalypse
„Die Matrix“ im Theater der Keller – Theater am Rhein 10/23
Sonnenstürme der Kellerkinder
1. Ausbildungsjahr der Rheinkompanie – Theater am Rhein 08/23
„Die starke Kraft der Träume anzapfen“
Intendant Heinz Simon Keller über „Die Matrix“ am Theater der Keller – Premiere 08/23
Das digitale Paradies
Ensemble 2030 im Theater der Keller – Theater am Rhein 07/23
Essen, Scheißen und Fummeln
Charlotte Keller inszeniert „König Ubu. Oder wir sind am Arsch“ – Auftritt 07/23
Bots und Freiheitsträume
„Welcome to digital paradise“ am Theater der Keller – Prolog 06/23
Über den Tod: Eine Liebesgeschichte
Büchners Wiedergeburt am Theater der Keller – Theater am Rhein 04/23
Außenseiter der Gesellschaft
„Büchner“ am Theater der Keller – Prolog 03/23
Lehren des Widerstands
Theater der Keller: „Mädchenschule“ – Theater am Rhein 01/23
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23