Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Das Serielle als Exzess

24. September 2015

Hanne Darboven in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 10/15

Die Künstlerin hat ihr Leben lang geschrieben. Als Sühne, doch wofür? Schreiben sie einhundertmal Dienstag, eintausendmal Dienstag, das kostet Zeit, messbar, festhaltbar. Schon in den frühen 1960er Jahren begann Hanne Darboven in New York das Serielle, Mathematische zu ergründen, mit der absoluten Loslösung vom Praktischen begann dort ein Werk, dessen Mächtigkeit gerade in der Bundeskunsthalle in Bonn zu entdecken ist. Es ist die kleinteilige Manie, die Seele einer Zahlenkolonne zu ergründen, das Wesen hinter dem täglichen Allerlei. Täglich schrieb sie, nein sie notierte, sie reihte endlose Zahlenkombinationen aneinander, sie zog Wellen auf Pergament, in Schulbücher, in Kalender. Fast ein halbes Jahrhundert lang, bis 2009. Die Kolonne hatte Ruh, die Frau Darboven hat die Tafel verlassen. Was wie eine Strafarbeit anmutet, hinterlässt immerhin einen grauen Strichcode der Zeit. Die Künstlerin hat Schreiberinnen beschäftigt, aus Not oder als Konzept? Da kann man nicht sicher sein.

Zwischen den endlosen beschriebenen Tafeln, die Wände und Vitrinen füllen, steht in Bonn Spielzeug. Puppen, Schaukelpferde, ein Dreirad, der Besucher ist erstaunt. Alles stammt aus dem Atelier, selten in dieser Summe gesehen und schon das Wort Summe macht wieder rappelig. Fast 12.000 Arbeiten sollen hier hängen, stehen liegen, allein die Urfassung der „Schreibzeit“-Serie, die sechs Jahre der 70er be-„schreibt“, besteht aus zweieinhalbtausend Blättern, die viel Tinte und Graphit enthalten, aber eben keine inhaltliche Information. Aber die haben die aufgereihten Kasperlepuppen ja auch nicht, nicht mal das Puppentheater, wenn niemand sie bewegt. In der Arbeit „Kinder dieser Welt“ schlägt das Herz dieser „Zeitgeschichten“- Ausstellung, die parallel zur Retrospektive im Haus der Kunst in München konzipiert wurde. Die zeigt Hanne Darboven eher als Komponistin und Bücher-Sammlerin. Irgendwann in den frühen 80ern begann sie ihre Kolonnen in Noten zu verwandeln. Allerdings erledigten den eigentlichen Kompositionsprozess der Melodieketten andere Musiker.

Bleiben wir lieber beim Geschriebenen Nichts. „Kinder dieser Welt“ sind 200 gebundene Bücher mit jeweils sechs Schulheften, 22 gebundene Bücher mit jeweils fünf Schulheften, zwei Textbücher, 114 Packpapiertafeln, 2134 Blatt Blechbläsertrio Opus 42 A in Zahlenworten, 68 Blatt Notenpartitur, 63 Blatt Index, Spielzeug, Puppen und viel mehr in Schaukästen und Vitrinen. Herstellungsdauer: sechs Jahre (1990-96). Und dennoch, diese Melange aus Inhalt und Manie, natürlich auch eine der umfangreichsten Installation in ihrem Werk – die Künstlerin bezieht sich auf Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ von 1938 – kann nicht die Funktion einer Klammer zwischen der „inhaltslosen“ Arbeit und dem musealen Anspruch eines Apparates erfüllen. Manches scheint zwanghaft zwischen den Zeilen hervorgezerrt zu sein, anderes nur für einen enzyklopädischen Zusammenhang verbunden. Die Mächtigkeit einer „sinnlosen“ Wand erreichen diese „zeitlosen“ Arbeiten nicht.

„Hanne Darboven – Zeitgeschichten“ | bis 17.1.16 | Bundeskunsthalle Bonn | 0228 917 12 00

Peter Ortmann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23

Die Mutter aller Musen
Aby Warburg in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 06/21

Die Schönheit bleibt nackt
Max Klinger in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 11/20

„Gerade jetzt sind Kunst und Kultur von hoher Bedeutung“
Patrick Schmeing, Geschäftsführer der Bundeskunsthalle, über digitale Bilderwelten – Interview 05/20

Freude schöner Götterfunken
Beethoven in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 02/20

Fulminanter Start ins Jubiläumsjahr
Bonn feiert Beethoven – Bühne 12/19

Im Schleudersitz auf der Holzeisenbahn
Martin Kippenberger Retro in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 12/19

Die Leinwandhelden von Weimar
„Kino der Moderne“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 02/19

„Der politische Kampf spiegelt sich auch im Kino“
Kristina Jaspers über „Kino der Moderne“ in der Bundeskunsthalle – Interview 01/19

Flimmernde Bilder, die Menschen veränderten
„Kino der Moderne“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 01/19

Land der Geheimnisse
Die Nasca-Kultur in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunst 05/18

Zwischen Fleisch und Reinigungsmitteln
„The Cleaner“ – Marina-Abramović-Retrospektive in Bonn – Kunstwandel 05/18

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!