„Diese Typen sind nicht höher als wir, nicht heiliger als wir. Das habe ich als Kind nicht gewusst“, sagt Karl Haucke am Ende von „Das Himmelreich wollen wir schon selbst finden“. Gemeint sind die Pater, die den früheren Sprecher des Betroffenenbeirats in seiner Jugend jahrelang vergewaltigt haben. Es ist eine leise und eindringliche Klage über den Missbrauch, über nichtveröffentlichte Gutachten, über geschmacklose Einladungen zu Bußgottesdiensten. Darin liegt die „Pointe“ von Oliver Frljiçs Recherchestück über die verdrängte Geschichte des Kölner Dombaus. Verdrängt wurde vor allem der Missbrauch, viele andere Episoden der Dom-Revue kennt man bereits. So Reinald von Dassels Raub der Reliquien der Heiligen Drei Könige aus Mailand, mit dem Köln in die Poleposition im Gläubigentourismus aufstieg. Ein fahrendes Totenfloß symbolisiert die Pest und verweist auf die damit einhergehenden Judenpogrome. Auch Sulpiz Boisserée als Promoter des Dombaus unter nationalem Stern ist nicht unbekannt. Und von Bismarcks Kulturkampf, der den Einfluss der katholischen Kirche auf den Alltag beschneiden sollte, hat man schon mal gehört. Oliver Frljiç und sein siebenköpfiges Ensemble suchen vor allem nach Bildern, welche die Bildmacht des Theaters der kirchlichen entgegensetzt. Neben dem Totenfloß gibt es ein wildes Sensenballett zu bestaunen; ein Kardinalsquartett beim Spiel mit einem knöcherner Reliquienlego; hinreißende Kostüme wie die übergoldenen Soutanen und Mitren. Mit dem Auftritt von Karl Haucke wird der katholische Pomp weggefegt – was bleibt, ist das bisher verdrängte individuelle Leid.
Das Himmelreich wollen wir schon selbst finden | Schauspiel Köln | 13.2. | 0221 221 28400
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