Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
14 15 16 17 18 19 20
21 22 23 24 25 26 27

12.578 Beiträge zu
3.804 Filmen im Forum

Fabienne Kroening und Elke Zulkowski an der Beratungsstelle am Kleinen Werth
Foto: Jan Turek

Die unterschätzte Gefahr

07. Oktober 2020

Das Blaue Kreuz Wuppertal zeigt Wege aus der Sucht – Teil 3: Lokale Initiativen

„Gib mir Tilidin, ja, ich könnte was gebrauchen“, heißt es in einem populären Song der Rapper Capital Bra und Samra. In den vergangenen Jahren wurde der missbräuchliche Konsum des Schmerzmedikaments im Deutschrap immer wieder offen zur Schau gestellt. Gleichzeitig hat in der jugendlichen Zielgruppe der Tilidinkonsum rasant zugenommen. Aber nicht nur bei Teenagern ist Medikamentenmissbrauch ein Problem.

In Wuppertal setzt sich mit dessen Gefahren das Blaue Kreuz auseinander, – eine Hilfsorganisation für Suchtkranke in Trägerschaft der Diakonie. Das Blaue Kreuz bietet Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, aber auch stationäre Einrichtungen wie Wohnheime an und hat zudem in Barmen seine Bundeszentrale. „Die verschiedenen Angebote gehen oft Hand in Hand miteinander“, sagt Sozialpädagogin Fabienne Kroening. Sie erklärt: „Wir beschäftigen uns mit Menschen, die eine Suchtproblematik im legalen Bereich haben.“ Zum größten Teil hätten diese Menschen Probleme mit Alkohol. Sehr häufig käme noch eine weitere Abhängigkeit hinzu, etwa nach Cannabis oder eben nach Medikamenten. Beim Blauen Kreuz beschäftige man sich auch mit den Auslösern für die Sucht: „Unsere Klienten berichten davon, dass sie gezielt versuchen, traumatische Erlebnisse zu verdrängen und sich selbst zu dämpfen oder Schmerz zu unterdrücken“, erzählt Kroening. Man versuche dann, alternative Lösungsstrategien zu finden.

Sozialarbeiterin Elke Zulkowski erläutert, man arbeite „im Hier und Heute“ und schaue, „was derjenige in seinem Alltag verändern möchte und kann, damit er zufriedener wird und das Suchtmittel nicht mehr braucht“. In diesem Zusammenhang sei auch der Austausch in den Selbsthilfegruppen bedeutend. Außerdem werde gemeinsam überlegt, „ob eine ambulante Entgiftung stattfinden kann oder eine stationäre nötig ist.“ Eine Droge schlagartig abzusetzen, sei meist nicht ratsam: „Es ist keine gute Idee, direkt von 100 auf 0 zu gehen.“ An eine Frau erinnert sich Zulkowski noch genau: „Sie nahm 27 verschiedene Medikamente. Da waren ihre Blutdrucktabletten, auf die sie auch angewiesen war, aber auch Schmerz-, Schlaf- und Aufputschmittel. Im Krankenhaus musste man dann gucken, welches Medikament als erstes abgesetzt wird und welche Auswirkungen das für den Körper hat. Es war wie ein Puzzle. Sie war über ein halbes Jahr im Krankenhaus.“

Die heimliche Sucht

Zulkowski warnt auch, vielen Menschen, die beim Blauen Kreuz Hilfe suchten, sei gar nicht bewusst, dass sie von Medikamenten abhängig sind: „Wenn wir nicht abfragen würden, welche Medikamente unsere Klienten regelmäßig nehmen, würden sie auch nichts davon erzählen.“ Das soziale Umfeld des Süchtigen bemerke es oft ebenfalls nicht: „Es ist eine heimliche Sucht: Man fällt unter Medikamenteneinnahme nicht so auf wie, wenn man eine Alkoholfahne hat.“ Häufig werde der Missbrauch von Medikamenten auch unterschätzt, fährt die Sozialarbeiterin fort: „Das Bewusstsein, dass es ein Problem ist, ist oft gar nicht da. Medikamente werden entweder als frei verkäuflich, und somit als harmlos, oder als ärztlich verschrieben, und somit als notwendig, angesehen. Man kann aber sowohl von frei verkäuflichen, als auch von verschriebenen Medikamenten eine Abhängigkeit entwickeln.“ Zulkowski findet, es müsse bewusster mit Schmerzmitteln umgegangen werden, nach dem Motto „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Das gelte auch für Ärzte und Apotheker.

Mittlerweile bereut übrigens selbst Capital Bra. Im Gespräch mit dem Reportageformat STRG_F warnt er, Tilidin mache „den Kopf kaputt“ und während des Entzugs habe er dagesessen „wie ein vercrackter Junkie“.

 

Aktiv im Thema

www.leberhilfe.org | Die Deutsche Leberhilfe e. V. versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe für Leberpatienten, deren Erkrankungen u.a. auf Medikamentengebrauch zurückgehen.
correctiv.org/aktuelles/fussballdoping/2020/06/26/die-problematik-duerfte-sich-verschaerfen | Beiträge des Recherche-Kollektivs zum Schmerzmittelmissbrauch im Amateur- und Profifußball.
bergmannsheil.bg-kliniken.de/fileadmin/Dateien/bergmannsheil/files/anaesthesie/schmerz/download/richtiger_umgang_mit_schmerzmitteln_web.pdf | Ausführliche und übersichtliche Patienteninfo der RUB-Klinik über Schmerzmittel.

 

Jan Turek

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Der Buchspazierer

Lesen Sie dazu auch:

Oh weh!
Intro – Schmerzbetrug

Ibuprofen wie Smarties
Fatale Folgen bei unreflektiertem Umgang mit Schmerzmitteln – Teil 1: Leitartikel

„Das sind keine ungefährlichen Substanzen“
Schmerzmittelforscher über Schmerzmittel im Hobbysport – Teil 1: Interview

Gymnastik mit Gefühl
Der Verein für Gesundheitssport und Sporttherapie Köln – Teil 1: Lokale Initiativen

Auf Tilidin in die Charts
Ist der Hip-Hop schuld am wachsenden Medikamentenmissbrauch? – Teil 2: Leitartikel

„Schmerz hat einen Sinn“
Mediziner über Opioide in Deutschland – Teil 2: Interview

Erste Hilfe beim Einstieg in den Ausstieg
Die Drogenhilfeeinrichtung Kick in Dortmund bietet Betreuung und Konsumräume – Teil 2: Lokale Initiativen

Heillos
Schulmedizin oder Alternativmedizin? Warum nicht einfach „und“ statt „oder“? – Teil 3: Leitartikel

„Naturmedikamente sind nicht harmlos“
Mediziner über Naturheilkunde und Integrative Medizin – Teil 3: Interview

Drogenkranke nicht mehr kriminalisiert
25 Gramm Cannabis pro Person sind seit 2001 eine Ordnungswidrigkeit – Europa-Vorbild: Portugal

Aus Sicht des Betroffenen
Was kein Schmerz aushält – Glosse

Lokale Initiativen

Hier erscheint die Aufforderung!