„Die Straßen sind die Wohnungen des Kollektivs. Das Kollektiv ist ein ewig waches, ewig bewegtes Wesen, das zwischen Häuserwänden soviel erlebt, erfährt, erkennt und ersinnt wie Individuen im Schutze ihrer vier Wände“, schrieb einst Walter Benjamin. Und unter diesem Motto findet das diesjährige, fünfte CityLeaks Urban Art Festival vom 31. August bis zum 21. September statt.
Während 2017 die Neugestaltung des Ebertplatzes im Zentrum stand, steht nun die Straße, als Repräsentantin des öffentlichen Raumes, in dem die Städter zusammenkommen, im Mittelpunkt. Denn genau dieses Straßenbild und das damit verbundene nachbarschaftliche Leben sind in Ehrenfeld einem Wandel unterworfen. Als eines der beliebtesten Veedel Kölns, das sich durch eine vielseitige kulturelle Szene auszeichnet, leidet es nun unter seinem Ruhm. Gentrifizierung verwandelt auch hier ein ehemaliges Arbeiterviertel und Zufluchtsort für weniger wohlhabende Künstler in ein Wohngebiet mit stetig steigenden Mietpreisen – und die ursprünglich identitätsgebende Szene Ehrenfelds wird nach und nach verdrängt.
Gleichzeitig existiert brachliegender Raum inmitten des dichtbewohnten Stadtteils. Dem Besucher fallen die charakteristischen Bahnhofsbögen ins Auge, die den Bahnhof Ehrenfeld säumen und genau das bieten, woran es zu mangeln scheint: leeren, ungenutzten Raum.
Das italienische Architekturkollektiv Orizzontale hat zusammen mit Architekt Hanno Mühlenbach in den Bahnbögen in der Hüttenstraße das Festivalcenter unter dem Namen „Simul et Singulis – zusammen und man selbst sein“ gestaltet. Das Architektenteam aus Rom ist bekannt für seine interaktiven Installationen im urbanen Raum. Auch hier ist das Ziel, die Wünsche und Bedürfnisse der Anwohner mit einzubeziehen und einen „Common Space“ zu erschaffen. Der Bau repräsentiert in gewisser Weise, wofür die CityLeaks-Reihe steht: eine Diskussionsplattform zu schaffen, eine Miteinbeziehung sämtlicher Bevölkerungsgruppen, eine Rückforderung des Mitgestaltungsrechts im öffentlichen Raum. Wie trägt in Ehrenfeld die Dynamik und Inszenierung des Veedels selbst zum Verdrängungsprozess bei, wie kann eine Balance zwischen den ökonomischen und sozialen Bedürfnissen der Bewohner hergestellt werden?
Im Festivalcenter finden Workshops, Gesprächskreise und Kulturveranstaltungen statt. Jeder ist eingeladen zum Beispiel seine eigene Geschichte vom Leben in Ehrenfeld im „Publishing Studio“ festzuhalten.
„Die Anwohner stellen eine sehr aktive Nachbarschaft dar, die sich sehr für ihr Veedel einsetzt und mitgestalten will“, erklärt Iren Tonoian vom Festival-Team. Somit werde die Initiative sehr gut aufgenommen: Die aufgebauten Tische, die tagsüber als Arbeitsplatz für die Architektur- und Städtebaustudenten der Technischen Hochschule und der Alanus Hochschule zur Verfügung stehen, werden nach Feierabend zum Treffpunkt für die Bewohner der Hüttenstraße.
Nicht nur die Hüttenstraße, auch Hotspots wie die Heliosstraße sind ins Visier genommen worden, besonders aber die Lichtstraße, die durch ihre Beherbergung vieler beliebter Clubs und Feiermöglichkeiten ein Wahrzeichen für Ehrenfeld war und nun Hauptstandpunkt der Kreativindustrie geworden ist. So wird sie in Kooperation mit der Akademie der Künste der Welt derzeit zu einer „Memory Station“, wo die Entwicklung der Straße von einer Fabrik für Schiffsschrauben zu einem Hub für Kunst und Musik nachvollzogen wird.
In der Liebigstraße hat der französische Streetartkünstler Olivier Swiz den „Sehnsuchtspfad“ errichtet, mit einzelnen Werken, die den Besucher dazu animieren sollen, die wohlbekannten Straßen aus Perspektive eines Touristen neu zu erleben. In der Körnerstraße kann man sich im Rahmen des Chargesheimer-Projekts auf eine virtuelle Zeitreise begeben und im Fototunnel eine mögliche futuristische Version der Straße erkunden.
Am 21. September findet zum Abschluss die „reclaim Ehrenfeld“-Parade statt, in der in Zusammenarbeit mit sämtlichen Kultur- und Bürgerinitiativen gegen steigende Mietpreise und Verdrängung der öffentlichen Kulturräume protestiert werden soll.
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