Wir müssen reden… Und zwar über eure Jahresbestenlisten. Es ist schon wieder soweit. Das Jahr ist vorbei, und jetzt ploppen überall die Top Ten auf. Was mich interessiert, welche Filme haben es bei euch drauf geschafft, und vor allem, wie viele davon sind von Frauen? Einer? Zwei? Jetzt bitte nicht mit den Augen rollen. Ich wünschte auch, wir wären schon weiter. Sind wir aber leider nicht.
Das zeigt allein ein Blick auf die Zahlen. Die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle hat dazu gerade einen Bericht veröffentlicht. Demnach wurden zwischen 2003 und 2017 in Europa 21.054 Filme produziert. Aber gerade mal bei 3.618 davon hatte eine Frau die Regie. Also bei weniger als einem Fünftel aller Filme. Mit ein, zwei Filmen wärt Ihr also ganz gut im Trend mit euren Top Ten. Und ihr würdet immer noch besser dastehen alsdie Filmfestspiele von Venedig. Die hatten von allen großen Filmfestivals die wohl schlechteste Frauenquote – mit gerade einmal zwei von 21 Filmen. Aber was soll die Aufregung, so der Festivalchef Alberto Barbera. Schließlich machen auch Männer Filme über Frauenthemen. Die Aussage ist an sich schon problematisch. Und sie ist auch einfach falsch. Auch dazu gab es in diesem Jahr eine eindrückliche Studie. Die stammt vom Geena Davis Institute on Gender in Media. Das hat sich angeschaut, wie Frauen in Filmen dargestellt werden. Und zwar in den weltweit umsatzstärksten Filmen des letzten Jahres. Das waren insgesamt 56 Filme – kein einziger davon von einer Frau. Das Ergebnis zeigt ziemlich eindrucksvoll: In den Filmen gibt es doppelt so viele Männerrollen wie Frauenrollen. Männer sprechen auch doppelt so viel wie Frauen. Dafür sind Frauen viermal so oft in freizügiger Kleidung zu sehen und doppelt so oft halbnackt oder nackt.
In diesem Sinne: Überprüft doch noch mal Eure Top Ten. Noch ist ja ein Monat Zeit in diesem Jahr – und Auswahl gab es dieses Jahr wirklich genug. „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt, „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Céline Sciamma. „Ich war zuhause, aber …“ von Angela Shanelec. Und am 26. Dezember startet mit „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ tatsächlich ein großes feministisches Melodram von einem Mann, dem schwulen, algerisch-brasilianischen Regisseur Karim Aïnouz, der damit zu Recht in Cannes den Hauptpreis der Reihe „Un certain regard“ gewonnen hat.
Das sind übrigens auch gute Alternativen für die Weihnachtsfeiertage. Anstatt „Tatsächlich... Liebe“ zum Beispiel. Das war eine Zeit lang ja auch mein Lieblingsfilm zu Weihnachten. Aber wenn man mal ehrlich ist, dann feiert der Film romantische Gesten, ist aber eigentlich eine Erzählung über Stalking und #MeToo – geschrieben und inszeniert von einem Mann. Immerhin „Sissi“ soll ja jetzt ein feministisches Update bekommen. Das hat die Filmemacherin Frauke Finsterwalder gerade groß angekündigt. Aber darüber sprechen wird dann im nächsten Jahr …
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