Donnerstag, 19. Februar: Einmal im Monat organisiert die Kino Gesellschaft Köln in Zusammenarbeit mit der Eckhard-Busch-Stiftung unter dem Titel „Kino zeigt Seele“ im Filmforum am Dom eine Filmvorführung, bei der es um psychische Erkrankungen geht. Die Themen der Filme werden zum Anlass genommen, um nach der Projektion gemeinsam mit Fachexperten über das Gesehene zu diskutieren. Im Februar stand nun zusammen mit dem Film „Kopfüber“ von Bernd Sahling die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ADHS im Mittelpunkt. Schon im Foyer des Filmforums wurde man durch den Stand von „ADHS Deutschland e.V.“ in die Materie eingeführt. Dr. Myriam Menter, die Geschäftsführerin der Selbsthilfegruppe, informierte die Gäste mit Flyern, Heften und persönlichen Gesprächen. Für die Diskussion nach Projektion des Filmes konnte Bettina Busch von der Eckhard-Busch-Stiftung noch zwei weitere Experten im Kino begrüßen. Prof. Dr. phil. Sören Schmidt ist Studiendekan für Angewandte Psychologie an der Hochschule Fresenius in Köln, Dr. Eva Tschersich arbeitet für die „ADHS-Sprechstunde für Erwachsene“ an der Universitätsklinik in Köln.
Durch einen technischen Defekt bei der digitalen Projektion des Films war es zwar leider nicht möglich, „Kopfüber“ in der gesamten Länge abzuspielen, aber die beiden Experten klärten das Publikum darüber auf, was in der letzten Viertelstunde noch passiert und wie der Film endet. Der Gesprächsbedarf nach dem Film war groß, da die meisten der anwesenden Zuschauer das Problem ADHS aus dem eigenen persönlichen Umfeld kannten. Vieles im Film war für sie nachvollziehbar, auch die Verbesserung der schulischen Leistungen nach Einnahme des Medikaments Ritalin, dessen Nebenwirkungen aber Appetitlosigkeit und Schläfrigkeit umfassen. Prof. Sören Schmidt sprach sich dennoch gerade bei Kindern für eine Medikation aus, „wenn Leidensdruck entsteht und die Familie durch die Krankheit beeinflusst wird“. Seiner Meinung nach war es Bernd Sahling im Film sehr anschaulich gelungen, wichtige Nuancen von ADHS-betroffenen Familien darzustellen, insbesondere die Überforderung der Verwandten, das Impulsive des Patienten oder die Auswirkungen, die sich im schulischen Bereich durch die Krankheit bemerkbar machen, von starker Ablenkbarkeit bis hin zu einer Lese-Schreib-Schwäche. Für Dr. Eva Tschersich war vor allem die Eröffnungsszene im Supermarkt gelungen, weil Marcel Hoffmann darin sehr überzeugend einen reizoffenen Jungen spiele, der seine Aufgabe immer mehr aus dem Blick verliere und sich ständig von etwas anderem ablenken lasse.
In Bezug auf die Medikation merkten beide Experten noch einmal an, dass diese bei Kindern erst weit hinten angesiedelt sei. Schmidt erläuterte: „Multimodale Behandlungen auf mehreren Ebenen sind wichtig, bei denen sowohl Eltern als auch Lehrer mit einbezogen werden. Psychotherapiesitzungen und eine Ergotherapie müssen bei einer Medikation unbedingt parallel eingesetzt werden.“ Tschersich ergänzte, dass eine zwischenzeitliche Absetzung der Medikamente durchaus ratsam sei, beispielsweise in der Zeit nach den Schulstunden, die der Patient zu Hause verbringe. Aus ihrer Berufspraxis weiß die Neurologin, dass der Leidensdruck und die Frustration von ADHS-Patienten im Erwachsenenalter noch schlimmer werden. Immerhin 60% aller ADHS-Kinder sind auch als Erwachsene noch von der Krankheit betroffen, von der man mittlerweile weiß, dass sie erblich ist. Schmidt wehrt sich auch dagegen, die Krankheit unter dem Begriff „Modediagnose“ zu führen, da es Hinweise gäbe, dass die Symptome unter anderen Bezeichnungen schon im 19. Jahrhundert geläufig waren. Durch die Reizüberflutung der heutigen Gesellschaft und die mangelnde Zeit der Eltern würden die Patienten heutzutage aber noch deutlich mehr unter ihrer Krankheit leiden.
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