Eigentlich ist Eatherly Architekt. Der Krieg hat aus ihm allerdings einen Piloten gemacht, der für seine Trefferquote berühmt ist. Was er als Architekt aufgebaut hat, bombt er nun in Schutt und Asche. Nicolas Benda steht mit Fliegermütze, Lederjacke und goldenem Umhang auf einem Plastikhocker und „fliegt“ wie Ikarus, während die Bodenstation die Bombardierung einer Schule fordert.
Eatherly ist in Maya Arad Yasurs Stück „Bomb“ der moralische Fliegenfänger. Dreimal muss er in die Luft, nach dem ersten Abwurf verweigert er es, eine Schule zu bombardieren, in der sich allerdings Terroristen verschanzt hatten und ein Freund von Eatherly stirbt. Zuletzt bombardiert er einen Fahrzeugkonvoi, bei dem dann seinen eigenen Leute ums Leben kommen, darunter ein Fotograf. Dessen Sohn wird später in die Fußstapfen des Vaters treten und Kriegsfotos veröffentlichen. Durch Zufall davongekommen dagegen ist der Vater des Mädchens Naomi, der allerdings völlig traumatisiert vom Krieg nach Hause zurückkehrt. Seine Tochter wird später eine berühmte Künstlerin im Stile Marina Abramovićs und verarbeitet in einer Performance auf der Biennale ihre Geschichte.
Hier setzt das Stück eigentlich erst ein. Die sechs Darsteller sitzen auf Plastikhöckerchen um ein rundes Podest, in dessen Mitte sich ein Atompilz erhebt (Bühne: Eva Veronica Born) – eine fast romantische Szenerie: Unterm Atomlindenbaum ist gut reden. In einem Überbietungswettbewerb interpretiert die Gruppe das Kunstwerk Naomis auf der Biennale – mit der Blasiertheit eines Vernissagenpublikums. Man fällt sich ins Wort, macht Notizen auf der Haut.
Der Elan gewinnt eine Eigendynamik und das Sextett konstruiert aus der Kunstinterpretation die Biografie von Eatherly, Naomi und dem fotografierenden Jungen – die allmähliche Verfertigung eines Stücks beim Interpretieren. „Bomb“ hat dabei etwas von einer demokratischen Verständigung eines Chors über den Fortgang der Geschichte – was beim Lesen allerdings spannender wirkt als auf der Bühne.
Regisseurin Lily Sykes zieht den Chor schnell nach vorne an die Bühnenkante und baut hier kleine Szenen. Laura Friedmann entwickelt als Junge eine kindliche Unschuld, Birgit Walter als Kommandantin changiert zwischen Beschwörung und Befehl, Ines Marie Westernströer schildert eindringlich die Reaktion der jungen Naomi auf ihren traumatisierten Vater. (Campbell Caspary und Justus Maier ergänzen den Chor.) Problematisch ist das fast durchweg druckvolle Sprechen der Darsteller, das Anliegen behauptet, wo Beiläufigkeit gefordert wäre. Als Antikriegsstück wird Maya Arad Yasurs aus der israelischen Lebensrealität der Autorin eher verständlich, im mitteleuropäischen Kontext spannender ist die epigenetische Übertragung der väterlichen Traumata auf die Kinder. Sohn und Tochter werden zu Vollstreckern des Auftrags bzw. der Verletzungen ihrer Väter. Das aber deutet sich nur kurz im erwähnten Bericht von Naomi an. Lily Sykes Uraufführungs-Inszenierung hätte hier durchaus etwas mehr Mutwillen gegenüber der Vorlage entwickeln dürfen. So bleibt es ein etwas mühsames Vergnügen.
„Bomb – Variationen über Verweigerung“ | R: Lily Sykes | 29.2., 4., 21., 27.3. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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