Erst jetzt, Pandemie-bedingt mit einem Jahr Verspätung, hat Betye Saar den Wolfgang-Hahn-Preis erhalten; begleitet wird er von einer Ausstellung. Meist fällt die Präsentation eher klein aus, und eine Rolle spielt dabei der Ort innerhalb des Museum Ludwig. Für Betye Saar ließe sich von einem Kabinett reden, im ersten Obergeschoss, direkt im Anschluss an die Bildtafeln der Minimal-Pionierin Jo Baer, schräg gegenüber der Sonderausstellung zu den Fotogeschichten der Migration in Köln und dort auf einer Achse von Räumen, die zum „Doppelaggregat“ (1969) von Joseph Beuys führt. Selbst wenn das alles zufällig sein mag, so berühren diese Nachbarschaften Saars künstlerisches Selbstverständnis.
Als Afroamerikanerin, die 1926 in Los Angeles geboren wurde und bis heute dort lebt, beschäftigt sie sich von früh an mit Fragen des Feminismus und der Ethnie. Alltagsgeschichten kreuzen sich mit Mythen und ethnologischen Erkenntnissen, Erzählerisches tritt neben Zustände des Daseins. Viele ihrer plastischen Werke sind in ihrer Materialität und Metaphorik wie ein Fetisch verdichtet, ja, mit einer tiefgehenden Spiritualität aufgeladen, die etwa auf ihren Kenntnissen des Voodoo-Zaubers in Haiti beruht. Betye Saar entwickelt Relief-Assemblagen und versteht sich auf dem Weg dahin als Sammlerin, die den Blick auf die zurückgelassenen Dinge am Straßenrand richtet, diese in ihrem Studio beobachtet und neu kombiniert.
In Deutschland stellt Betye Saar zum ersten Mal aus. In den USA hingegen ist sie seit Jahrzehnten anerkannt und vielfach ausgezeichnet worden. Vielleicht ist es auch ihren aktuellen Ausstellungen in den USA geschuldet, dass die Präsentation im Museum Ludwig lediglich ein halbes Dutzend kleinformatiger Werke (darunter Druckgraphiken) aus dem Zeitraum 1965-2000 umfasst und das aktuelle Schaffen ausspart. Exponiert hängt die Erwerbung „The Divine Face“ (1971). Sie besteht aus Schlangenhaut, Schinkenknochen, Pfauenfedern und Glasperlen, Schnüren und Kuhhaut, versehen mit Farbe und Schrift. Im Zentrum befindet sich, umfasst von sternförmigen Spitzen, ein Gesicht; ein Auge blickt auf die Erde und eines Richtung Himmel, wie zur Erinnerung und wie schon im Blick auf ein Jenseits. Die Assemblage passt vorzüglich in den Sammlungsbestand, weil sie einen ganz anderen Ton anschlägt als die glatten konsumkritischen Reproduktionstechniken der Pop Art-Stars im Museum, auf andere Weise entlarvend ist und sich nun der Transzendenz und den People of Color zuwendet.
Dazu hilft der Katalog mit zwei Abbildungen ihrer Werke um 1970 weiter. Das eine zeigt ein afroamerikanisches Mädchen, das – ausgeschlossen – sein Gesicht und die Hände gegen eine Fensterscheibe presst. Das andere zeigt als Nippesfigur eine afroamerikanische Haushaltshilfe, davor wächst eine schwarze Faust aus dem Boden, und die Haushaltshilfe hält in der einen Hand einen Wischmob und in der anderen ein Maschinengewehr … Aber sachte, sagt Betye Saar im Interview im Katalog und hält aller Vereinnahmung für Feminismus und Genderfragen entgegen, dass das damals doch keine militante Anklage war. Und wichtig sei ihr heute, dass ihre Werke gesehen werden und dass „The Divine Face“ eines Tages von einem Kind wahrgenommen wird: „And then this kid will go home and make it!“
Betye Saar – Wolfgang-Hahn-Preis | bis 12.9. | Museum Ludwig | 0221 22 12 61 65
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