Wenn Quentin Tarantino in „Inglourious Basterds“ Hitler schon 1944 in den Tod schickt, dann schreibt er Geschichte um und erntet dafür Beifall. Wenn der große US-Fernsehsender HBO („Game of Thrones“) Ende Juli via Pressemitteilung ankündigt, für die geplante Serie „Confederate“ die Geschichtsschreibung dahingehend zu verkehren, dass im Sezessionskrieg die Südstaaten gewinnen, die Sklaverei dort folglich nicht abgeschafft wird und sich stattdessen zu einer modernen Institution entwickelt – dann mündet das in einem Shitstorm. „Racism Porn!“ schallt es zuvorderst auf Twitter, HBO-Abos werden kurzerhand gekündigt, und überhaupt: Alle Farbigen, die erwägen, an der Produktion mitzuwirken, „should be ashamed“. Viel Lärm um nichts – denn bisher steht nicht etwa ein fertiges Werk, sondern bloß die Idee. Eine Idee, die wütende Bürger pauschal als Schandwerk schelten, als späte Genugtuung für rassistische Neo-Sezessionisten. Die Serie könnte ebenso gut eine gesellschaftskritische Reflexion der amerikanischen Gegenwart anstreben. „Confederation“ könnte alles werden. Warum also diese Tiraden, und wo, bitte, soll das enden?
Nun geschah dies alles bereits vor Charlottesville, doch natürlich waren die US-Bürger unter Trump nebst rassistischer Polizeigewalt ohnehin nervös gestimmt.
Das rechtfertigt aber keinesfalls ein derlei fehlgeleitetes Rezeptionsgehabe, das hier, angereichert von einer ordentlichen Portion längst entglittener Political Correctness und der verrohten Hemmungslosigkeit der Netzgemeinde durchs Internet donnert. Parolen statt Diskurs: Twittern ist so kleingeistig wie meinungsstark zurzeit. Nicht nur im Oval Office. Und nicht nur in den USA gilt: Meinung statt Kompetenz. Von daher ist so mancher dankbar für jeden Tag, an dem es in Deutschland noch keine Volksabstimmungen gibt. Wer weiß, nachher verhindert unser medial aufgescheuchtes Volk eines Tages so schon im Vorfeld die eine oder anderen Serie, das eine oder andere Drama, den einen oder anderen Kinofilm. Bücher verbrennen, bevor sie überhaupt geschrieben werden – Fascism Porn!
Liebe Freundinnen und Freunde der Leinwand, das ist natürlich völlig dystopisch und pure Science Fiction. Und in diesem Sinne haben Film, Literatur und Bühne auch schon fleißig alternativ historisch durchgespielt, was wohl passiert wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte („Vaterland“, „The Man in the High Castle“) – oder wenn er stattdessen Künstler geworden wäre; was passiert wäre, wenn Jesus nicht gekreuzigt worden wäre. Oder man geht, wie Disney-Pixar, direkt auf Anfang, bewahrt die Dinosaurier vorm Aussterben und macht den Menschen damit die Führungsrolle streitig („Arlo & Spot“). 140-Zeichen-Pamphlete zu ungelegten Eiern jedenfalls werden solcherlei inspirierten Streichen der narrativen Künste kaum gerecht. Wir empfehlen die reflektierte Betrachtung des finalen Werks. Und liefern sie. So auch wieder in der aktuellen Ausgabe dieses – alternativ historisch – maßlos überteuerten Boulevardblattes.
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