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„German Ängst“ vom Analogtheater
Foto: Presse

Absurdität und Angst

25. August 2016

Wie das Freie Theater auf die Gegenwart reagiert – Prolog 09/16

Messer, Beile, Eisenstangen, Pistolen – die Waffen, die derzeit in Deutschland für Angriffe auf Bürger genutzt werden, sind die konventionellen. Die der altbekannten Handwerkskunst des Tötens. Und die Orte, an denen diese Waffen zum Einsatz kommen, wie Züge oder Supermärkte, galten bisher nicht als sicherheitsgefährdend. Die Eröffnungspremieren des Freien Theaters in Köln liefern eine Signatur dessen, was man als psycho-seismische Reaktion auf die aktuelle Lage bezeichnen könnte. Das Analogtheater unter der Leitung von Daniel Schüßler hat in einer Art düsteren Ahnung bereits vor Monaten das Projekt „German Ängst“ angekündigt. Dabei sollen verschiedene Angst-Ausprägungen in den Blick genommen werden, von der Angst vor dem Islam, vor dem Statusverlust, bis zur Angst vor sozialem Abstieg – und vor jeder Form brutaler Attacken aus dem Nichts vermutlich. „Die Angst ist die Reaktion auf die Gefahr“, heißt es bei Freud einmal – ob sie nun eingebildet ist oder real. Dass oft auch Aufklärung nicht hilft, wissen wir. Aufklärung selbst ist so problematisch wie ambivalent, und diese berühmte Dialektik lässt sich herunterbrechen bis zu den düsteren Verdunkelungsmanövern des NSU-Skandals. Das Nö-Theater hat sich vor vier Jahren mit „V wie Verfassungsschutz“ schon einmal satirisch mit dem Thema auseinandergesetzt. Jetzt folgt mit „A wie Aufklärung“ in der Regie von Janosch Roloff eine Art Alphabet des Scheiterns.

Die Kehrseite der Angst und hilflosen Aufklärung findet sich in einer verblüffenden Anhäufung von Produktionen, die sich mit Phänomenen des Absurden, des Surrealen und Skurrilen auseinandersetzen. Jonas Hassen Khemiris Stück „≈ [ungefähr gleich]“, das PiaMaria Gehle am Freien Werkstatt Theater inszeniert, fällt noch in die Kategorie einer schrägen Auseinandersetzungen mit einem ökonomischen System, das Personen schlicht aussondert. So sehr der Obdachlose, die Aussteigerin oder der Wirtschaftswissenschaftler kämpfen – ihre Obsession bleibt unerwidert. Während der schwedisch-tunesische Autor eher noch einem trockenen absurden Humor frönt, inszeniert Marie T. Martins in „Heimsuchung, eine Geisterstunde“ ein surreales Familienstück. Ein Stück, in dem die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verfließen, in dem Körper sich auflösen und zum Stimmklang verdichten oder umgekehrt zu Ballaststoffen sich verdoppeln und ihrem Träger im Nacken sitzen. Die junge Truppe Tripletrips um Nikos Konstantakis und Markus Tomczyk wiederum widmet sich in „Pink is my favourite number“ gleich dem Phänomen der Absurdität – und all seinen Bezügen zum Realen. „Ich finde, dass die Welt als Ganzes absurd ist, oder doch nicht absurd ist. Es ist schwer zu sagen, was absurd ist, da wir kein Vorbild dessen haben, was nicht absurd ist“, meinte Ionesco. Und wenn alles absurd ist, dann steht es um das Reale letztlich doch wieder ganz gut.

„German Ängst“ | R: Daniel Schüßler | Studiobühne | 7.-11.9. 20 Uhr | 0221 470 45 13

„A wie Aufklärung“ | R: Janosch Roloff | Schauspiel Köln | 15.-17.9. 20 Uhr | 0221 952 27 08

≈[ungefähr gleich]“ | R: PiaMaria Gehle | FWT | 2., 14., 15.9. 20 Uhr | 0221 32 78 17

„Heimsuchung…“ | R: Ulrike Janssen | Theater der Keller | 15.9. 20 Uhr, 18., 25.9. 18 Uhr | 0221 27 220 990

„Pink is…“ | R: Tripletrips | Studiobühne | 21.-25.9. 20 Uhr | 0221 470 45 13

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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