Köln, 24. August: „See The Sound“ klingt wie ein Paradox. Doch genau das ist der Reiz: Das im Rahmen der 2004 gegründeten Soundtrack Cologne jährlich stattfindende Festival bringt spannende Filme aus musikalischer Perspektive auf die Leinwand. Sozusagen Musik auf die Augen. In diesem Jahr mit dabei waren zwei extraordinäre Filme, die sich u.a. musikalisch und visuell mit dem Regime in ihrem Land bzw. mit dem Thema „Drogentod“ auseinandersetzen: Der Film über die afghanische Metal-Band District Unknown namens „RocKabul“ sowie das aus Dänemark stammende Stück „The Allins“, ein mörderischer Film über die US-Punker Murder Junkies.
Schlimmer als ein Dschungel – RocKabul
Der Andrang ist groß im Kölner Turistarama, einem Kino mit Nostalgie-Charme. Grund dafür sind sie: Die gigantische und übrigens erste und „fucking einzige“ afghanische Metal-Band District Unknown, die sich psychodelisch und metallern gegen das Regime in ihrer Heimat auflehnt(e). Mehr gibt es nicht, denn unter dem Taliban-Regime galten progressive Heavy Metaller als „des Teufels“. Zwischen Bombenhageln, Maschinengewehren, Terroranschlägen, zerstörten Häusern und Funkstörungen undercover in dunklen Kellern feilt die Band an ihren lauten Beats. Zwischendurch wird es immer wieder dunkel auf der Leinwand. Aber nicht etwa aus einer RTL-Laune heraus, um ein fiktives Drama zu inszenieren, sondern ganz real. Das Drama muss nicht kreiert werden. Es ist bereits präsent. Der Tod lauert überall. Erstaunlich, dass unter solch widrigen Umständen so großartige Klänge enstehen können.
Das Risiko war groß, waren sie unter der Taliban doch verboten, trugen zunächst seltsame Masken und hielten ihren Namen geheim. Hätte die Taliban sie ausfindig gemacht, „wäre uns die Kehle durchgeschnitten worden“, heißt es im Film von Regisseur Travis Beard. Über jene großartige, 2009 von den Cousins Lemas Saifullah und Qais Shaqasi und den Brüdern Qasem und Pedram Foushanji gegründete Trash-Punk-Band realisierte der australische Regisseur, der nebenbei auch Foto- und Videojournalist ist, den eindrucksvollen Dokumentarfilm „RocKabul“, der erstmals in Deutschland gezeigt wurde.
„It’s worse than a jungle. Because in a jungle there are rules. Here are no rules“, beschreibt ein Bandmitglied die Situation in seinem kriegerischen Heimatland. Die Musiker verbindet eine Art Hassliebe zu Afghanistan – ein Land irgendwo zwischen Tradition, Krieg, Diktatur und Korruption: „Ich liebe es und ich hasse es.“ Travis, der u.a. auch Musikfestivals im stockkonservativen und vom Taliban radikalisierten Afghanistan mitorganisierte, ist es gelungen, vor diesem Hintergrund eine Band zu porträtieren, ohne dabei zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken. Sein Film, ohne Filter aus einer dokumentarischen Perspektive gefilmt, steckt voller Kontraste: Einerseits diese irgendwie recht relaxt wirkende Band, die sich in Verstecken anonym und fröhlich ihrer Leidenschaft, der Musik, widmet. Andererseits draußen fließendes Blut, sich in die Luft sprengende Menschen oder solche, die auf einem Festival getötet werden, nur weil sie tun, was sie mögen: Musik. Zwischendurch immer wieder Menschen, deren Gesicht aufgrund der unmittelbaren Gefahr unkenntlich ist.
Bemerkenswert ist, dass District Unknown ihren Humor nicht verloren haben. Mit zunehmender, auch internationaler, Bekanntheit wurden die Psycho-Punker immer mutiger, offensiver und wagten es schließlich ihr wahres Gesicht zu zeigen. Im August 2014 brachten sie ihr erstes Album heraus namens „Anatomy of a 24 Hour Lifetime“. District Unknown, deren Bandmitglieder es schließlich gelang, ins Ausland zu flüchten, entschieden sich trotz Todesangst dazu, das zu tun, was sie wollten. Denn: „Wenn wir uns nicht mehr ausdrücken können, dann sind wir tot.“ Das Kölner Publikum hat der Dokumentarfilm überzeugt: „Ein krasser Film“, sagt eine Zuschauerin. „Ich finde es extrem beeindruckend, dass man unter solchen Umständen an seinem Ziel arbeitet und dennoch seiner Leidenschaft nachgeht.“
Die Musik ist gut… – The Allins
Im Anschluss folgt der aus Dänemark stammende, ebenfalls hochkarätige Kracher „The Allins“, ein mörderisches Stück über die grenzüberschreitenden Murder Junkies: ein amerikanisches Enfant terrible der Punk-Szene, lebten die Bandmitglieder doch jeden Tag Rock’n‘Roll bis zum Exzess und kotete ihr, auf Wunsch seines verrückten Vaters als „Jesus Christ Allin“ geborene Leadsänger, der später von seiner Mutter in „Kevin Michael Allin“ ungetauft wurde, genannt „GG“, gelegentlich auf die Bühne, wenn er seine Exkremente nicht sogar verzehrte oder seinen Körper verstummelte. Nicht nur das: Allin, der die Gefahr zurück zum Rock’n‘Roll bringen wollte und in seinen Auftritten und Texten viel mit Blut und Gewaltfantasien spielte, hatte sogar gelegentlich Sex mit dem Publikum auf der Bühne oder attackierte jenes, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war zu masturbieren oder mit Selbstmord zu drohen. Kein Wunder, dass er gelegentlich im Gefängnis landete.
„I hate the system, I hate you“, so der Standardsatz des in New Hampshire geborenen Sängers und Song-Writers. So exzessiv und Rock’n‘Roll sein Leben war, so spektakulär sein Tod. So geht es im Streifen von Regisseur Sami Saif im wahrsten Sine des Wortes um Tod und Leben, starb der Lead Sänger doch 1993 auf mysteriöse Weise im Alter von 37 Jahren in New York an einer Überdosis Heroin. Saif, der schon mehrere Preise für seine Dokumentarfilme erhielt, geht in jenem auf die Suche nach der Familie und auf die Todesspuren des Sängers, ohne GG Allin jedoch zu heroisieren.
So treffen wir, über 20 Jahre nach GGs Drogentod, seine schlagfertige Mutter Arleta sowie seinen Bruder Merle, die auf ihre eigene, individuelle Weise versuchen, mit dem Tod ihres nahestehenden und bekannten Verwandten klarzukommen. Wütend über die vielen Fans, die jährlich zu seinem Grab in New Hampshire pilgern, beschließt Mum Arleta rigoros, es stattdessen selber zu schänden, indem sie den Grabstein entwenden möchte. Während ihr Sohn auf die Bühne kotete, „kommen doch tatsächlich sogar Kanadier hierhin und pinkeln oder koten einfach auf sein Grab“, berichtet Arleta entrüstet. Eine unkonventionelle Art, mit dem Tod umzugehen. Seine Mutter, die zwar lustig, aber erstaunlich normal wirkt, stellt sich immer wieder die Frage, warum ihr Sohn „GG“, oder ihre beiden Söhne, so verrückt war(en) und spricht gar von einer Zwiespältigkeit ihres Sohnes im Sinne einer gespaltenen Persönlichkeit – ihrem in seinem privaten Leben lieben Sohn Kevin, der sich auf der Bühne in den bösen, aggressiven „GG“ verwandelte. Fast wie eine Schizophrenie oder bipolare Störung.
Später im Film wird jedoch deutlich, dass ihr Ehemann wohl ein aggressives Gewaltpotential in sich trug, vergewaltigte er sie sogar eines Tages – weshalb sie sich von ihm trennte. Bruder Merle, der Bassist ist und ebenfalls bei den „Murder Junkies“ mitspielte und durch einen hässlichen, leuchtend roten Bart im Film auffällt, ansonsten aber recht umgänglich wirkt, erklärt, während er immer wieder Fan-Artikel – wie etwa Kot GGs oder kleine Fanpuppen – im Internet verkauft: „Obwohl unsere Mutter uns darüber aufgeklärt hat, was richtig und was falsch ist, entschieden wir uns dazu, falsch zu sein.“
Trotz Schwere des Themas ist es auch Sami Saif gelungen, einen unterhaltsamen und humorvollen Film über die Todesspuren GG Allins zu kreieren. Zum Beispiel als Sohn und Musiker Merle seiner Mutter im Auto Musik vorspielt mit dem Text: „Suckin‘ on your pussy“, antwortet seine Mutter: „Die Musik ist gut, der Text ist grauenhaft.“ Das Publikum lacht. Das Besondere an „The Allins“ ist, dass der Zuschauer ein zwiespältiges Verhältnis zum Protagonisten aufbaut. Fast so zwiegespalten wie GGs Charakter selbst. Mal hasst man ihn. Mal liebt man ihn. So richtig sympathisch wird einem der stets schreiende, sich in Blut und Kot aalende Sänger aufgrund all der wortwörtlichen Fäkalien und Gewaltfantasien oder sogar ausgelebten Fantasien nicht. Das ist es, was den Reiz des Filmes ausmacht. Wenn auch am Ende ein leichter Nachgeschmack nach Fäkalien beim Zuschauer zurückbleibt.
„RocKabul“ und „The Allins“: Zwei edgy Dokumentarfilme, die sowohl diktatorische als auch musikalische Grenzen sprengen, indem sie Musik nicht nur auf die Ohren, sondern auf die Leinwand bringen. Und, obwohl das Sehen von Tönen paradoxisch klingt und Metal-Bands in Afghanistan sowieso, ist genau dieser Widerspruch das Faszinierende daran.
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