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Hoffnung keimt selbst, wo Dunkelheit lauert
Foto: Jan Schliecker

Zuletzt stirbt die Hoffnung

30. April 2015

Dallapiccolas „Il prigioniero“ / Zimmermans „Ekklesiastische Aktion“ – Opernzeit 05/15

Zwei Musiktheaterwerke, im Zweiten Weltkrieg und Anfang der Siebziger Jahre entstanden, wenden sich gegen Krieg, Diktatur und Unterdrückung. Sie sind nicht nur als politisches Manifest, sondern als existentielle Auseinandersetzung mit der Ohnmacht des Menschen in gottloser Zeit zu verstehen.

Beide Werke spielen zur Zeit der spanischen Inquisition. „Der Gefangene“ (ital. Il prigioniero) wartet auf seine Hinrichtung, doch der Kerkermeister macht ihm Hoffnung auf Befreiung und gibt ihm die Gelegenheit zur Flucht aus dem Labyrinth der Kerker. Unter dem freien Sternenhimmel wähnt er sich gerettet, doch erwartet ihn dort nicht die Freiheit, sondern der Großinquisitor und der Scheiterhaufen. Das kafkaesk wirkende Libretto geht auf die Erzählung „Folter durch Hoffnung“ von Auguste Villiers de l‘Isle-Adam (1888) zurück.

Die Textgrundlage von Zimmermans ekklesiastischer (kirchlicher) Aktion stützt sich auf das Buch Salomo des Alten Testaments und das Kapitel „Der Großinquisitor“ aus Dostojewkijs Roman „Die Brüder Karamasow“ (1878-1880). Der Großinquisitor sucht den in Haft sitzenden Jesus Christus auf, der auf die Erde zurückkehrte. Ihm wird zum Vorwurf gemacht, dass er den Menschen zu viel Freiheit ließ, mit der sie nicht umgehen können und die sie nun gegen die Macht der Kirche aufbringt. Am Ende entlässt der Großinquisitor den Gefangenen mit den Worten: „Geh und komm nicht wieder.“ Diese Romanepisode kombiniert Zimmermann mit Zitaten aus dem Alten Testament, die von der Nichtigkeit des menschlichen Seins zeugen und dem Unrecht, das Mächtige den Schwachen antun – ein zutiefst pessimistisches Werk, das Zimmermann unter Aufbietung seiner letzten Kräfte am 5. August 1970 beendete. Fünf Tage später nahm er sich das Leben.

Die hochexpressive Musik beider Werke bringt tiefstes menschliches Leid und Verzweiflung zum Ausdruck. Dallapiccola, selbst mit einer Jüdin verheiratet, wandte sich vom italienischen Faschismus ab, nachdem Mussolini 1938 zur antisemitischen Rassekampagne aufrief. In seinen Kompositionen aus dieser Zeit griff er bewusst auf die Zwölftontechnik Arnold Schönbergs zurück, dessen Musik als entartet galt, und bekannte sich zu ihm als menschliches und künstlerisches Vorbild. Die Zwölftonmusik ist für Dallapiccola jedoch kein abstraktes Konstruktionsprinzip, sondern dient der dramatischen Textausdeutung, ebenso wie die Tonalität.

Zimmermanns Werk ist Ausdruck seiner eigenen Halt- und Hoffnungslosigkeit und Zeugnis allgemein menschlicher Ohnmacht. Auch er verstand sein Komponieren im Kontext musikalischer Tradition. So zitiert er aus Bachs Kantate „O Ewigkeit, Du Donnerwort“, selbst Bluesrhythmen macht er sich als Ausdrucksmittel subjektiver Not und Ausweglosigkeit zu eigen. Der letzte Satz des Werkes erscheint wie ein Selbstbekenntnis des gläubigen Katholiken: „Weh dem, der allein ist.“

KERSTIN MARIA PÖHLER

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