Regelmäßig feiert sich das amerikanische Militär im US-Kino ab. Als unfehlbar, als sauber, als ehern, als überlegen.Die Popcorn-Rekrutierung: „You want us“ statt „I want you“.Vergleichbar plump verhält es sich mitunter, wenn die christliche Kirche Einzug auf die Leinwand hält. Und damit sind weniger die Blockbuster gemeint, mit denen Hollywood traditionell die zahlreichen Schauwerte ausschlachtet, wie zuletzt Ridley Scotts biblischem Hokuspokus in 3D namens „Exodus“. Nein, das Starkino will meistens bloß Staunen machen. Es sind eher die kleinen, bibeltreuen Produktionen, die auf die Predigt setzen: Geteiltes Leid statt geteiltes Meer. So auch „Himmelskind“. Ein Film über moderne Christen, ein Film über ein wahres Wunder. Das klingt für Menschen ohne Gebetsbuch unterm Kopfkissen erst einmal gruselig. Und die Christen, die hier vor dem Altar mit E-Gitarre, Bass und Schlagzeug im Namen des Herren abgehen – hier ist Rock’n’Roll dann tatsächlich mal tot – schrecken auch entsprechend ab, allen voran der Lifestyle-Pastor, der wie ein Late-Night-Talker predigt und witzelt, um die Kirchenbesucher von heute zu erreichen. Schäfchen allerorten, die, umzäunt von wohlbehütetem Wohlstand, in andauernder Happiness frohlocken: Das ist die Welt der neunjährigen Annabelle, die plötzlich tödlich erkrankt, am Ende einer Klinik-Tortur in einen hohlen Baum stürzt, dort, gebettet in süßer Ohnmacht, dem Herrn begegnet und genesen erwacht. So geschehen in den USA im Jahre 2011. Davon erzählt das Buch ihrer Mutter. Und nun dieser Film.
Wenn die Leinwand predigt, dann fällt das für gewöhnlich hoffnungslos verklärt aus. So auch beim kürzlich gestarteten „Der junge Messias“, der die nicht überlieferte Geschichte von Jesus Christus als Kind durchkaut und ohne jegliche Relevanz verebbt. Überzeugender, und damit am Ende gar missionarischer als jeder biblische Wink mit dem Zaunpfahl, erscheint indes Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“, der den Sohn Gottes entzaubert und als Menschen zeichnet. Auch Mel Gibson suchte mit „Die Passion Christi“ eine geerdete Gangart, scheitert aber zugleich an seinem aufdringlichen ideologischen Überbau: dem schon absurd überzeichneten, blutigen Stempel der Kollektivschuld.
„Himmelskind“ wiederum sucht durchaus auch den subtileren, selbstkritischen Ansatz. Wenn der Film zum Beispiel darstellt, dass nicht alle Betenden tatsächlich nächstenlieben. „Die tun nur so katholisch“, heißt es in „Hannas schlafende Hunde“, wenn Altnazis vorm Altar knien. Und so gibt es auch in „Himmelskind“ schwarze Schafe. Beziehungsweise ein schwarzes Schaf, aber immerhin. Und ja: Der Film erzählt auch ganz geerdet von einem Engel ohne Flügel und Glitzerstaub. Aber der heißt natürlich Angela. Und dass der atheistische Vater eines krebskranken Mädchens hier am Ende zum Glauben bekehrt wird – das ist wohl ein ungeschriebenes Gesetz von Filmen wie diesen, die dann doch bloß predigen wollen und damit eher einen Gottesdienst nachstellen als das Leben. Womit wir wieder bei einem Grundproblem der Kirche wären.
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