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Sympathy for the Greek

30. Juni 2011

Wortwahl 07/11

Die Morgensonne schillert gleißend in der See. Die Fischerbötchen schaukeln versonnen. Zwei letzte Langusten wechseln den Besitzer. Eine Fahrradhupe quäkt. Der ewig griemelnde Antonis rollt auf die kleine Mole, um seinen Ausflugskahn für die Inselumrundung flott zu machen. In seinem Gefolge Cockerspaniel Cookie, kinderliebes Bootsfaktotum, schwanzwedelnd und putzmunter. Yannis, dessen von Bougainvielleen umranktes Bistro das Herz der Fußgängerzone und Hauptverkehrsader des Dorfes markiert, zaubert den ersten Frape. Allein Denise, Cookies vermeintliche Mutter, döst noch oder bereits wieder unter einem der Tische.

Beschaulich geht es zu. Als wollte Antiparos nicht nur der weit turbulenteren Schwester Paros langmütig die Stirn bieten, sondern gleich noch die Wut- und Verzweiflungsausbrüche in Athen der Lüge zeihen. Doch der spiralförmige Absturz der ehedem herausragenden Kulturnation ist auch hier nicht zu verleugnen. Nikos, Besitzer einer kleinen Schmuckboutique und Vermieter eines 'blumigen' Idylls im Dorfkern, weiß als hauptberuflicher Lehrer in Griechenlands Hauptstadt wovon er spricht: »Es sind ja nicht allein die schon durch die Mehrwertsteuererhöhung immens gestiegenen Unterhaltskosten, die den Bürger belasten. Die Entlassungswelle trifft besonders die Um-die-50-Jährigen, welche in Ermangelung eines sozialen Auffangnetzes die kümmerliche Rente ihrer Eltern anzapfen. Der Sparzwang ermöglicht keinerlei Investitionen und so verlässt auch noch der gut ausgebildete Nachwuchs das Land.«

Wer hier kein Mitleid zeigt, kann, nur von der Sorge um seine Pfründe getrieben, die Verteuflung des hellenischen Volkes nur mit politischer Blindheit erklären; zumal hiesige Großkonzerne an dem wirtschaftlichen Dilemma nicht unwesentlich beteiligt waren. Der Griechen Schicksal nun mit der »Demontage des Lemuel Pitkin« zu vergleichen, mag zu weit gegriffen sein. Dennoch ist Nathanael Wests verquerer Schelmenroman aus dem Jahre 1934 eine wunderbare Farce auf den grassierenden Kapitalismus: Wenn Gott und die Welt dem Knaben die Welt als Auster schmackhaft machen, dem Tüchtigen und Redseligen »Eine glatte Million« [Manesse] offerieren, während sie ihn hinterrücks genüsslich filetieren. Viel besser ergeht es auch Philippe Djians knorrigem Helden Francis nicht. Wurde dem in die Jahre gekommenen Schriftsteller bereits seine heiß geliebte Frau samt älterer Tochter vom Schicksal genommen, so erlaubt sich die verbliebene Frucht seiner Lenden auch noch den Scherz, ohne Lebenszeichen von der Bildfläche zu verschwinden. Da braucht man nicht auf Altersmilde zu hoffen; zumal in dem leidgeplagten Protagonisten auch noch der Verdacht keimt, dass ihm seine zweite Frau die Hörner aufsetzt, während ihm Schwiegersohn, Enkelzwillinge u.u.u. die Nerven rauben. Nicht leicht, in Anbetracht dieser »Leichtfertigen« [Diogenes] stilvoll Haltung zu wahren. Schon gar nicht, wenn tief im Innern ein Feuer züngelt, das von den Auswüchsen am Rande unserer Zivilisation immer wieder entfacht wird. Mal impulsiv, mal mit cooler Souveränität stürzt sich Hans Herbst in seine »Playboy«-Reportagen: Catchen, Vögeln in Rio, St. Pauli – klingt nach klassischen »Männersachen« [Pendragon] und doch lodern die hart geschliffenen Texte weit universeller, wenn die Schattenlöcher und Drecksnester unseres Planeten plötzlich scharfe Konturen kriegen. Infernalisch wird es allerdings erst, wenn ein Nachfahre des berüchtigten Revolverhelden »Wild Bill« Hickok die Qualen des Hades überlebt und daraufhin in einem Romero'esken 'L.A. of the Dead' die »Höllendämmerung« [Rowohlt] heraufbeschwört. Eine so furiose wie groteske Abrechnung mit unserer Popkultur, dem Richard Kadrey ein wegweisendes Zitat von William Clayton voranstellt: »Je dümmer du den Leuten vorkommst, desto verblüffter sind sie, wenn du sie umbringst.« Darauf noch ein, zwei Tresterzauberbrände, landläufig Tsipouro genannt, und Nikos, Yannis & Co. werfen unweigerlich ihr kykladisches Schafsfell ab, um als Wrukólakas ihre Vampirzähne in das blutige Fleisch unserer Kapitalbiftekis zu schlagen. Welch diabolisches Vergnügen.

LARS ALBAT

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