Once in a lifetime. Ein schönes Bild. Cyrano und Roxanne, zwei Hiphop-Kids mit wohl barocken Roots. Sie fegen über die Bühne im Kölner Depot 1, immer zusammen und doch eigentlich aneinander vorbei. Da sind sie wie zwei Turntables, die sich nie mit der gleichen Geschwindigkeit drehen und deshalb erst im Stillstand (des Todes) zueinander finden. Edmond Rostands tragikomischer Held Cyrano de Bergerac glänzt mit Kutte und Rapper-Attitüde (und schnell sprechen kann Stefko Hanushevsky auch). Die Band, live und versiert, intoniert von Fanta4 bis MC Hammer, von Apache bis „Sabotage“ von Beastie Boys. Die Gascogner Kadetten heißen die fünf. Regisseur Simon Solberg, mit Hang zur Klassiker-Vernichtung, hat im Gegensatz zum Bonner „Woyzeck“ in Köln eine schöne „ich geb‘ Gas, ich will Spaß“-Adaption hinbekommen, die selbst ältere Semester in meiner Reihe etwas übermäßig flippen ließ. Mehr kann man in Köln kaum verlangen.
Also los, der Rapper Cyrano, ein drahtiger Haudegen mit etwas zu langer Nase, liebt Fechten, prügeln und Roxanne. Prügeln immer gern, wenn jemand etwas über seinen Zinken sagt, dann sitzt der Degen locker, locker waren sie eben, wohl auch die historischen adligen Gascogner Kadetten: „Sie raufen und lügen und wetten, Das sind die Gascogner Kadetten! Sie halten zusammen wie Kletten, Und lieben und zürnen im Nu.“ Man sieht, der Rhyme steckt schon drin in Ludwig Fuldas Übersetzung des Klassikers. Und weiter, ist das erste Bühnenbild noch ein Ghettoblaster mit Monsterlautsprechern, wird daraus die Bronx irgendwo in Frankreich. Roxanne verliebt sich blöderweise in den schönen Wham!-Song-Christian, der frisch ins Regiment kommt. Man findet sich, man zerwühlt nach Wirrungen die Matratze, Cyrano liefert die romantischen Skills im Hintergrund. Doch Graf Guiche, Befehlshaber der Kadetten hat auch ein Auge auf die junge Frau geworfen. Und so kommt es, wie es auf den Bühnen immer kommt, die Vierecks-Geschichte endet für alle tragisch, man weiß es ja schon vorher, Christian und Cyrano sind tot, Roxanne am Boden zerstört, der Graf desillusioniert. Das 17. Jahrhundert, so scheint es, war für den Adel in Frankreich beileibe kein Zuckerschlecken.
Als Musiktheater würde diese Depot-Inszenierung glücklicherweise nicht durchgehen, geschickt adaptiert Solberg aber mit bekannten Songs selbst aktuelle politische Ereignisse ins Bühnenbild. Die Belagerung der Kadetten wird so zum umzäunten Flüchtlingslager unter Flakscheinwerfern, in das Roxanne eindringt, um den sterbenden Ehemann zu sehen. Neun schwarz maskierte Statisten schieben dafür die Baustellengitter und Requisiten über die Bühne, viel Nebel wabert immer durch den Raum, und „Firestarter“ von Prodigy. Aber die Inszenierung hat noch eine weitaus interessantere Ebene. Die Sprache hat sich von den Körpern gelöst und führt fast ein Eigenleben, zwischen Rhyme-Machine und Rostand-Versmaß hat sie es schwer, immer für Verständnis zu sorgen. Das ist ein wirklich interessanter Aspekt dieser Solbergschen Hip-Hop-Beimischung, die vierzehn Jahre später final ihr Ende im klassischen Showdown im Kloster findet. Fly me to the moon.
„Cyrano de Bergerac“ | R: Simon Solberg | 8., 13., 21., 26., 31.5. 19.30 Uhr | Depot 1, Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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