Wenn Theatermusiker Tilman Ritter die Kerzen anzündet und sich mit venezianischer Vogelmaske ans Klavier setzt, dann wird die Bühne hell und gibt den Blick frei auf die Welt des Grafen von Moor, die klein und eng geworden ist, seitdem sein geliebter Erstgeborener Karl (Hendrik Richter) das Haus verlassen hat und in der weiten Welt Party macht.
Der zweite Sohn Franz, ohne Aussicht auf Liebe und Erbe, versorgt den alten Herrn eher halbherzig. Ein Brief setzt die Handlung in Niklas Ritters Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ in Gang. Es ist ein Brief, der Karl in Misskredit bringt, ein Brief, den Franz selbst geschrieben hat und der den geschwächten Vater an den Rand des Todes bringt. Schon hier wird klar, dass in der gräflichen Familie ein paar soziale Komponenten verloren gegangen sind. Ritter führt seine Protagonisten in das Reich der Psychoanalyse, in der eher die Ursachen gesucht werden, als dass die Wirkung noch eine große Rolle spielt. Handlung, Text und Schillers Sprache werden diesem experimentellen Versuch geopfert. Das Ergebnis ist ein klares Glas Wasser, in dem die Hintergründe des Niedergangs nicht mehr verschleiert sind.
Die Räuber sind ein Haufen Burschen, die in Leipzig die Sau rausgelassen haben, denen deshalb der Schuldturm droht, von Spiegelberg zu Höherem verführt – während Karl eigentlich darauf wartet, von seinem Vater rehabilitiert zu werden. Deshalb beatboxen sie große Arien, oder auch mal „Ein Männlein steht im Walde“. In diesen ziehen sie dann tatsächlich, die Kumpane machen Karl zu ihrem Anführer, der das Angebot auch aus Alternativlosigkeit willig annimmt, die Konsequenzen aber wohl nicht bedacht hat. Räuber zu sein war in der damaligen Zeit jedenfalls ein richtiger Allerweltsjob. Die Bande räubert also los, Franz spinnt derweil seine Intrigen. Er fingiert den Tod seines Bruders, wieder mithilfe eines Schreibens – manchmal muss man sich schon fragen, wieso ihm jeder diese Informationen vom Hörensagen Dritter abnimmt. Niklas Ritter setzt immer noch auf die karge Bühne und die Aussagekraft seiner Schauspieler, allerdings macht er sich geschickt die Bühnenmotorik zunutze. Teilweise sinken ganze Flächen in den Abgrund, nebst Telefonzellen-Zimmer und scheintotem Vater (Günter Alt, ein großartiger Graf von Moor).
Die Raubzüge der Räuber werden immer brutaler, auch hier hat Spiegelberg wie immer seine Hände im Spiel. Die Blutorgie, mit der Roller vom Galgen befreit werden soll, gerät zur grellen Farbflaschen-Performance (die momentan als Regieeinfall wohl zur Mode wird, siehe Hamlet in Bochum), die mit bösen Exzessen insbesondere die älteren Semester im Publikum zum Kopfschütteln bringt, vor allem, wo sie doch schon die Verstümmelung der Schiller’schen Verse ertragen mussten. Die Räuber (die alle extrem jugendlich daherkommen) mutieren dann optisch auch noch zu 1970er-Jahre-Spontis, hochrevolutionär mit Parka und Palästinensertuch, denn der dekadente Staat schlägt zurück. Patria o muerte. Manche können dem Ablauf auf der Bühne kaum folgen, doch eigentlich hat Ritter das Handlungsgerüst stehen gelassen. Es ist eine interessante Deutung des Sturm-und-Drang-Epos, manchmal ein bisschen zu „modernisiert“, aber schon die Live-Bühnenmusik des Tilman Ritter reicht zum Kartenkauf.
„Die Räuber“ | Fr 12.4. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bad Godesberg | 0228 77 80 08
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