Effizientes Entscheidungsmanagement hätte helfen können. Doch dann wäre Shakespeares Dänenprinz nicht als melancholischer Zögerer in die Weltliteratur eingegangen. Als einer, der sich zerreibt an offenen Fragen, von denen die zentralste zum geflügelten und reichlich abgenutzten Wort geworden ist: Sein, oder nicht sein. Selbiges steht auch im Mittelpunkt der „Hamletmühle“, einer Performance des Ensembles „Körperschafftklang“, die das Zerreiben buchstäblich betreibt. Bleistifte werden gespitzt, Papier geschreddert und ein Schleifstein gedreht. In einem Stundenglas verrinnt die Zeit. Die Sinnbilder für die Mühlen des Alltags unterstützen das Stimm-Theater der fünf Männer, das in jeder Vorstellung einem anderen Ablauf folgt.
Zu Beginn wird ein Satz Karten gemischt. Darauf finden sich kurze Überschriften, Stichworte für die zu spielende Szene. Und wie bei einem Gesellschaftsspiel wird Karte für Karte umgedreht und ausgeführt. Das Prinzip Zufall besitzt als inszenatorischer Grundgedanke großen Charme, birgt aber auch dramaturgische Fallstricke, wenn etwa die Reihenfolge der Szenen zu wenig Abwechslung bietet und kein Spannungsbogen entsteht.
Im Bestfall ergibt sich ein unerhört gutes akustisches Spektakel, das Hamlets Psychostruktur auf den Mann des 21.Jahrhunderts überträgt. Unter der künstlerischen Leitung von Ralf Peters hat das Ensemble Shakespeares Tragödie auf die Vater-Sohn-Beziehung befragt und in die Gegenwart weitergeschrieben. Die Geschichte selbst und auch die Unentschiedenheit Hamlets werden in Coaching-Vorträge für Führungskräfte umgemünzt. Entscheidungsfindung leicht gemacht. Diese eher humoristisch zu wertende Modernisierung trifft auf eine höchst artifizielle Ebene: Die vier Darsteller (Hans van Almsick, Bernd Blömer, Winni Heil, Ralf Peters) und ein Perfomer (gottgleich an seinem Schreibtisch: Michael Korneffel) nutzen ihre Stimmen wie Instrumente. Es entstehen Geräusche, Laute, Töne. Ein Lied, ein Dialogfragment. Ein Brief. Performt wird solo, im Chor, im vielstimmigen Kanon, während im Hintergrund der Schleifstein knirscht.
„Die Hamletmühle.“ Stimm-Theater-Performance des Körperschafftklang-Ensembles R: Ralf Peters | Orangerie – Theater im Volksgarten | 20.-22.10. je 20 Uhr, 23.10. 17 Uhr
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Das digitale Paradies
Ensemble 2030 im Theater der Keller – Theater am Rhein 07/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
Identitäre Spiegelungen
„Der blinde Fleck“ in der Orangerie – Theater am Rhein 06/23
Frauen und Krieg
„Die Troerinnen“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 06/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Erziehung zur Empathielosigkeit
„Das große Heft…“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 05/23
Kreativität des Erinnerns
subbotnik: „Haus/Doma/Lustdorf“ – Theater am Rhein 04/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Stupende Aktualität
„Das große Heft“ in der Orangerie – Theater am Rhein 04/23
Politische Wucht
„Cotton Club“ in Bonn – Theater am Rhein 03/23
Doller kuscheln
„Gott des Gemetzels“ am Schauspiel – Theater am Rhein 03/23
Die Ehre, sterben zu dürfen
„Leutnant Gustl“ am Bauturm-Theater – Theater am Rhein 02/23
Wohlstandspöbel
„Downgrade Prometheus“ von Trafique – Theater am Rhein 02/23
Hamsterrad des Lebens
„Helges Leben“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/23
Irgendwie dazwischen
„Exil“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/23
Lehren des Widerstands
Theater der Keller: „Mädchenschule“ – Theater am Rhein 01/23
Authentisches Theater
„Hypocrites“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 01/23
Macht und Magie
„Der Sturm“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 01/23
Karussell der Liebe
„Alles wird gut“ am TdK – Theater am Rhein 01/23
Feministisch-medial
„Reset – A night without men“ – Theater am Rhein 12/22
Messias des Kapitals
„Midas / Heimat“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/22
Kein Tribunal
„Putinprozess“ im Theater der Keller – Theater am Rhein 12/22
Waldblütenwehen der Seelen
„HNSL/GRTL“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 11/22
Einsam im Untergrund
„Annette ein Heldinnenepos“ am FWT – Theater am Rhein 11/22