Ist es lediglich Zufall, dass diese Ausstellungen zeitgleich stattfinden, oder symptomatisch für den Kulturbetrieb? Also die Folge davon, dass in allen Bereichen des öffentlichen Lebens der US- und Eurozentrismus zunehmend infrage gestellt wird und heutige Beiträge ferner Kulturen in ihrem (ästhetischen, inhaltlichen) Reichtum jenseits einer vordergründigen Exotik entdeckt werden? Und zur Globalisierung gehört, dass wir aus dem Fremden lernen können und einen neuen Blick auf unsere Umgebung werfen. Jedenfalls, das Museum Ludwig, das Rautenstrauch-Joest-Museum und das Museum für Ostasiatische Kunst zeigen in ihren aktuellen Sonderausstellungen unabhängig voneinander außereuropäische Kunst im Spannungsfeld von Tradition und Moderne, Überlieferung und Neuerung.
Bei der Ausstellung der Malerei der heute lebenden australischen Ureinwohner ist dies freilich zu relativen: Die vorgestellten Künstler malen frei von äußeren Einflüssen und sind ganz in ihre Stammestradition vertieft. Aber die westliche zeitgenössische Sammlung im Museum Ludwig trägt zu einer anregenden Konfrontation mit unseren Seherwartungen bei. Die elementare Formensprache, auf die sich die Bilder der Aborigines beschränken, wirkt für unsere westlichen Augen abstrakt und lässt an rein „geometrische“ oder ornamentale Kunst denken – ein Fehlschluss. Tatsächlich sind bestimmte Erzählungen gegenständlich wiedergegeben. Die Aborigines-Künstler beziehen sich auf jüngere Ereignisse in ihrer Stammesgeschichte, etwa die Kolonialisierung betreffend, sowie auf ihre überlieferten Mythen. Vorgetragen sind diese Bilder in einer Innigkeit, die sie zu einem wahren Erlebnis werden lässt. So großartig diese Ausstellung ist, sie kommt nicht wirklich überraschend. Schon zuvor haben Museumsdirektoren und Kuratoren wie Bernhard Lüthi, David Elliott, Jean-Hubert Martin und Ulrich Krempel die Kunst der australischen Ureinwohner für unsere Kulturkreise „entdeckt“, ohne deren Authentizität zu zerstören.
Tradition und Avantgarde
Demgegenüber spricht „Afropolis“, die erste Wechselausstellung im Kunstquartier am Neumarkt, ein ausgesprochenes Aufeinanderprallen und Vermischen unterschiedlicher Kulturen an – so ist die Schau auch sinnigerweise präsentiert. Anhand künstlerischer Beiträge wird der Urbanität in fünf afrikanischen Riesenstädten nachgegangen, ihrem enormen Wachstum, das ganze Stadtteile umkrempelt und zum Verlust von überlieferten Strukturen der Identität führt. Natürlich sind die neuesten Medien und aktuelle künstlerische Strategien umgehend in Städten wie Lagos und Johannesburg angekommen; einige der afrikanischen Künstler leben mittlerweile in der westlichen Welt und umgekehrt arbeiten europäische Künstler auf dem afrikanischen Kontinent. Sie tragen nun ebenfalls zur Kölner Ausstellung bei. Eine These von „Afropolis“ lautet, dass gerade der Zugriff auf die Stadt und die Architektur bis zur globalen Austauschbarkeit die Rückbesinnung der Einheimischen auf Geschichte und Tradition fördert und dazu die spezifischen Ressourcen bewahrt. Im Rautenstrauch-Joest-Museum sind neben Anverwandlungen des Alltags mit den Mitteln von Fotografie und Film, Plastik und Installation noch fiktive Architekturmodelle, aber auch musikalische Beiträge zu sehen, wobei erfreulicherweise jedes für sich vermittelt ist.
Wieder anders geht das Museum für Ostasiatische Kunst bei seiner Ausstellung „Der Perfekte Pinsel“ vor. In einer konzentrierten Auswahl präsentiert es großzügig in Reih und Glied die eigene frisch restaurierte Sammlung zur Malerei vom 13. bis ins ausgehende 19. Jahrhundert. Die Rollbilder oder Druckgraphiken zeigen unterschiedliche Genres und Motive, welche noch über Hierarchien und Rituale der Gesellschaft in den unterschiedlichen Dynastien informieren. Bestimmte städtische und höfische Ansichten erweisen sich als künstlerischer Kanon, vorgetragen als handwerkliche Meisterschaft aus Realismus und Sinnlichkeit.
Also, etliche Erwartungen, die wir von der Kunst der verschiedenen Kulturen haben, werden bei diesen so unterschiedlichen Schauen eingelöst, wahrscheinlich ist es wirklich so, und zwar bis ins Heute. Die chinesische Kunst wird mit hochvirtuoser gegenständlicher Malerei vorgestellt; die australischen Aborigines ihrerseits verfügen für die Darstellung der Realität über ein zeichenhaftes Vokabular. Und Afrika ist der brodelnde, vibrierende Kontinent, in dessen Städten noch aus dem Müll der Straße Kunst entsteht, auch hier: als Seismogramm für tagtägliches und besonderes Leben.
Thomas hirsch
Remembering Forward – Malerei der australischen Aborigines seit 1960
bis 20. März im Museum Ludwig I www.museum-ludwig.de
Afropolis – Stadt, Medien, Kunst I bis 13. März im Rautenstrauch-Joest-Museum www.afropolis.net
Der Perfekte Pinsel – Chinesische Malerei 1300-1900 I bis 20. Februar im Museum für Ostasiatische Kunst I www.museenkoeln.de
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