Wie sieht eine Abschiedsausstellung aus, nachdem „man“ 32 Jahre ein Museum geleitet und geformt hat, die Ausrichtung vorgegeben und die Sammlung erweitert hat? Im Fall des Museums für Ostasiatische Kunst und von Adele Schlombs fällt sie großzügig, zeitgenössisch und traditionsbewusst aus und ist von Raum zu Raum überraschend. Unter dem Titel „Horizonte“ sind Werke von fünf Künstler:innen unterschiedlicher Generationen aus China, Japan und Korea ausgestellt, jeweils für sich und im Dialog mit älterer fernöstlicher Kunst und Kultur. Die Traditionen kehren in den aktuellen Beiträgen wieder, selbst wenn die Künstler:innen große Teile ihres Lebens im Westen verbracht haben. Der Hase als Skulptur bei Leiko Ikemura ist nicht lediglich ein Tierwesen und der Berg bezeichnet nicht einfach eine geologische Form. Der Horizont vermittelt zwischen Himmel und Erde, so wie die atmosphärische Tiefe, in der sich vermeintlich nichts zu ereignen scheint, nicht nur für das Sehen schärft, sondern auch spirituelle Erfahrungen bereithält. Die Rolle des Buddhismus zieht sich durch die Ausstellung und zugleich ist gut, dass die alltäglichen und kultischen Gegenstände nie aus dem Blick geraten.
Die Malerin, Zeichnerin und Bildhauerin Leiko Ikemura ist eine Meisterin der Ausdifferenzierung, die zugleich Gesichter nach innen kehrt, sich der Landschaften in Japan erinnert und in ihren Werken einen Zustand der Unschuld sucht. Die Kindheit und der Schlaf sind wichtige Topoi ihrer Kunst, ebenso wie die Vergegenwärtigung des Todes. Dazu schildert sie Weite und eine Leere, die eine große geistige Fülle aufscheinen lässt. In diesem Aspekt berührt sich ihre Malerei mit der von Qiu Shihua. Geboren 1940 in der Provinz Sichuan, ist seine Ölmalerei vom Taoismus geprägt, dem er sich in den 1980er Jahren zugewandt hat. Er verdichtet Landschaftserfahrungen auf Weißtöne, die er in vielen Schichten lasierend aufträgt, so dass die Natur kaum mehr zu sehen ist. Die aus Südkorea stammende, heute auch in Paris und New York lebende Kimsooja ist im Museum für Ostasiatische Kunst mit ihrem bekanntesten Sujet vertreten. In einer filmischen Projektion, die der langsamen Fahrt einer Rückenfigur auf einem Fluss und auf einem Fahrzeug durch eine Stadt folgt, sind verschnürte Bündel mit den Habseligkeiten fokussiert. Die Hüllen sind die traditionellen farbintensiven Hochzeitsdecken der Jungverheirateten, und ein Thema ist hier die Migration und damit die Veränderung und der Erhalt der Traditionen.
Den jüngeren Generationen sind die aus China stammenden Evelyn T. Wang und Yu Duan zuzurechnen. Während Evelyn T. Wang Zeichnungen auf Querrollen anfertigt, die an die Traditionen der Handrollen und der Kalligraphie anschließen und das Leben einer Chinesin im heutigen Westeuropa schildern, widmet sich Yu Duan als Gärtnerin in London der Beziehung zwischen Mensch und Natur, als Paradiesgarten und unberührte Vegetation. In die heutige Realität rückt sie ihre Sequenzen, indem sie das Umfeld einzelner Personen beobachtet und ihre Fotografien auf Tintenstrahl-Ausdrucken als offene Projekte präsentiert: zeitgenössisch und doch voller Referenzen an ihre Heimat.
Horizonte | bis 10.4. | Museum für Ostasiatische Kunst, Köln | 0221 22 12 86 17
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Aufscheinende Traditionen
Helena Parada Kim im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/24
Götter und Geister
Schätze der japanischen Mythologie
Im Schein des Mondes
Yoshitoshi: ein Meister des Holzschnitts im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 12/21
Bilanz für die Zukunft
„Alles unter dem Himmel“ am Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/19
Ein Stück Identität
Jubiläumsausstellung im Museum für Ostasiatische Kunst – Kunst 11/18
Nahe Ferne
Leiko Ikemura im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 11/15
Klee im Dialog
Paul Klee und der Ferne Osten in Köln – Kunst in NRW 01/15
Damals, auf einer längeren Reise
Fotografien des 19. Jahrhunderts im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 08/14
Erotik und Inferno
Nobuyoshi Araki & Shirô Tsujimura im Museum für Ostasiatische Kunst – Kunstwandel 01/12
Ein Fest der Museen
Die Lange Nacht der Kölner Museen findet vom 5. auf den 6. November statt – Kunst in Köln 11/11
Berührungsängste verboten
„Memory is not only past“ in der ADKDW – Kunst 04/24
Zauber der Großstadt
Nevin Aladağ im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 04/24
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Ein König schenkt
Schenkungen von Kasper König an das Museum Ludwig – kunst & gut 03/24
Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24
Faszination für krumme Linien
Julja Schneider im Maternushaus – Kunstwandel 02/24
Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24
Malen mit der Farbe
Rolf Rose im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 01/24
Augenöffner im Autohaus
„The Mystery of Banksy“ in Köln – Kunstwandel 12/23
Gespür für Orte
Füsun Onur mit einer Retrospektive im Museum Ludwig – kunst & gut 12/23
Ereignisreiche Orte
Simone Nieweg in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung im Mediapark – kunst & gut 11/23
Woyzeck im Karneval
„kah.na.v‘aw“ in der Akademie der Künste der Welt – Kunstwandel 11/23
„Das sind keine elitären Räume“
Künstlerin Rike Hoppse und Mitorganisatorin Lea Geraedts über die 18. KalkKunst – Interview 10/23