Werden wir bald kein Leinen mehr unter den Fingern spüren, werden wir nicht mehr das Geräusch eines gewendeten Blattes hören? Gibt es bald keine Bücher mehr zum Anfassen, keinen Textkorpus, den wir in der Hand wiegen? Liegt stattdessen ein Lesegerät vor uns, ein Tablet-Computer, ein E-Book? Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vermeldet nach sieben Wachstumsjahren ein Umsatzminus von 1,4 Prozent im Geschäft mit dem gedruckten Buch. Gleich einer Fanfare folgt die Meldung: „E-Book-Geschäft verdoppelt sich / Perspektive für 2015: Neues Medium ist Hoffnungsträger der Verlage“.
Seit Jahren pusht der Börsenverein das E-Book-Geschäft, drängelt bei jeder sich bietenden Gelegenheit Verlage und Buchhändler zum Einsatz des elektronischen Buches. Auf der Frankfurter Buchmesse baut Florian Langenscheidt ein Tadj Mahal für das E-Book. Immer nach dem Motto: Wer das E-Book verpasst, kann seine Zukunft in den Mond schreiben. Klar, der Börsenverein mischt selbst im E-Book-Geschäft mit. Aber nicht nur deshalb folgen auf die Nachricht von der Verdopplung des Umsatzes mit dem E-Book die eher kleinlauten Hinweise, dass der Umsatz von E-Books im letzten Jahr nur einen Anteil von einem Prozent am Gesamtumsatz ausmachte. Der Umsatzanteil des E-Books in den Buchhandlungen sank sogar gegenüber dem Vorjahr.
Der Haken beim Geschäft mit den digitalen Texten ist „weiterhin die geringe Nachfrage“, wie der Börsenverein und das GfK Panel Service Deutschland in ihrer gemeinsamen Studie feststellen. Es ist also nicht wirklich ein Geschäft, sondern nur die Hoffnung darauf. Die deutschen Leser sehen offenbar nicht so recht ein, warum sie das gedruckte Buch aufgeben sollten, und möglicherweise muss der Weg zum E-Book ja zunächst über die Faszination des gedruckten Buches gehen. Erst der geübte Leser, der Vielleser, entdeckt Chancen des E-Books für sich, wie die Tatsache, dass man in die Ferien nicht einen Koffer Papier schleppen muss, wenn man stattdessen zu Hause noch drei Dutzend E-Books auf sein Lesegerät gespeichert hat.
Die sind übrigens gar nicht so billig, wie man immer annimmt. Die 13 Euro, die ein E-Book im Vergleich zu den 20 Euro eines gebundenen Buches kostet, bieten halt bloß einen virtuellen Text. Das ist etwas für Hardcore-Leser, die auf alles zu verzichten bereit sind, was ein Buch zu einer sinnlichen Angelegenheit macht, oder duften die Zeichen auf dem Bildschirm nach Leim und Papier?
Aber die Zahl dieser Puristen wird sicherlich nie gigantische Umsätze einfahren. Möglicherweise funktioniert jedoch eine andere Idee. Axel Stemmer, Buchhändler des Anderen Buchladens in Köln-Sülz bezeichnet sie treffend als „Huckepack“-Konstruktion. Die sieht so aus, dass der Verlag Rogner & Bernhard in jedem Exemplar des gebundenen Romans „Taqwacore“ von Michael Muhammad Knight einen Zahlen- oder Buchstabencode eingelassen hat, über den man sich den Text auch auf den E-Book-Reader herunterladen kann. So hat man beides in einem Paket und kann die praktische Seite des virtuellen Textes nutzen, ohne auf die Freude am gebundenen Buch verzichten zu müssen.
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