Sternzeit3156,2. Die Enterprise macht Halt vorm Planeten Beta III. Die Gesellschaft dort benimmt sich seltsam friedliebend. Der Grund: Die Bewohner sind einem System unterworfen, das sie telepathisch zu frommen Schafen formt. Dies alles beruht auf einem ehernen Konzept: Eine Welt ohne Hass zu errichten, ohne Angst, Krieg und Konflikt. Die Kosten: Freiheit und Individualität. Captain Kirk befreit das Volk und fragt kurz vorm Abflug, wie es jetzt so liefe: „Könnte nicht besser sein“, jubelt ein befreiter Betaide, „wir hatten Ehestreits und zwei echte, schwere Schlägereien. Kein Paradies, aber menschlich.“
Mythos kreative Gewalt
Dass, wer nicht grausam sein darf, nicht frei sein kann, ist eine der ältesten Narrationen der Welt. Der Mensch ist anmutig, der Mensch ist roh. Jekyll & Hyde. Der Mensch ist kriegerisch. Das bringt ihn voran, Konflikte machen kreativ. Raubt man ihm sein Gewaltpotenzial, mutiert der Mensch zum seelenlosen Wesen. Diese (klar: männliche) Narration zieht sich bis in die Religion: Wer fragt, warum Gott bloß all das Grauen zulässt auf Erden, erhält die Antwort, dass, wenn Gott eingreifen würde, der Mensch nicht mehr frei und selbstbestimmt wäre. Der kriegerische Mensch ist kulturell legitimiert.
Um nun den Menschen in einen Krieg zu führen, bedarf es allerdings weiterer Narrationen. Wikipedia definiert Krieg als einen „mit Waffen und Gewalt ausgetragenen Konflikt (…), an dem planmäßig vorgehende Kollektive beteiligt sind. Ziel der beteiligten Kollektive ist es, ihre Interessen durchzusetzen“. Die Interessenvertreter setzen im Krieg für gewöhnlich erst im zweiten Schritt auf Gewalt. Der erste Schritt ist die Narration. Narration ist eine Massenmobilisierungswaffe – das kommt auch angegriffenen Kollektiven zugute wie derzeit der Ukraine. Die Narration von Kriegsparteien stützt sich dabei erfahrungsgemäß nicht zuvorderst auf dieWahrheit. Je greifbarer die Erzählung vom Sender verpackt wird – und je mehr sie vom Empfänger geglaubt werden will, desto effektiver ist sie: Vom „Präventivkrieg“ der USA gegen den Irak, dessen Narration zufolge Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hortete, bis hin zu Putins aktueller „militärischer Spezialoperation“, die den Tatbestand des Kriegs an sich schlichtweg negiert. Aus Angriff wird Verteidigung: Bevor Aggressoren zuschlagen, definieren sie sich gern als (historisches) Opfer. Es wird zurückgeschossen.
Die eigenen Reihen
Derlei hanebüchene Rechtfertigungsrhetorik gilt dabei nicht etwa dem Kollektiv, das man angreift. Kriegserklärung? Warum dem Gegner den Krieg erklären? Wer in den Krieg zieht, braucht das offenbar nur möglichst glaubwürdig vor dem eigenen Volk und den Verbündeten zu rechtfertigen. Kriege sind Glaubenskriege. Wenn Putin vor der Weltbühne sein Vorgehen rechtfertigt, adressiert er dabei gar nicht die empörte westliche Zivilisation, sondern bloß die eigenen Reihen. Gleiches kennen wir von Donald Trump: Bravourös gestreuter Unfug, der sich nur an die richtet, die ohnehin hinter ihm stehen. Nach vier Jahren hatte Trump damit zwar unmittelbar keinen Krieg losgetreten, aber eine Nation entzweit und die Demokratie an ihren Grundfesten erschüttert.
Der wache Geist ist ein kostbares Gut in diesen Zeiten. China, Europa, Vereinte Nationen: Wer agiert, wer kämpft aus welchem Interesse, als Aggressor, als Stellvertreter, als Schlichter? Alle sind gefordert in diesen Zeiten, in denen man vieles kritisch hinterfragen muss, ohne dabei grundsätzlich alles und jeden in Frage zu stellen. Viel Erfolg!
FRIEDENSVERTRAG - Aktiv im Thema
deutschlandfunkkultur.de/sprache-der-diplomatie-kunst-formulierung-100 | Prägnante Bemerkungen des Politologen Herfried Münkler zur Sprache der Diplomatie.
spiegel.de/karriere/diplomat-jonas-koll-so-hat-er-den-auswahltest-des-auswaertigen-amts-bestanden-podcast | Einblicke in das Leben des weitgereisten Diplomaten Jonas Koll.
auswaertiges-amt.de/de/karriere/internationalediplomatenausbildung | Überblick über zentrale Aspekte der Diplomatenausbildung.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Pflichtvergessene Politik
Intro – Friedensvertrag
Spiel mit dem Feuer
Taiwan-Konflikt: Westliche Antidiplomatie riskiert Waffengang – Teil 1: Leitartikel
„Höflich in der Form, hart in der Sache“
Jurist Matthias Hartwig über Wandel in der Diplomatie – Teil 1: Interview
Aus der Geschichte lernen
Das Friedensbildungswerk Köln – Teil 1: Lokale Initiativen
„Das erscheint dramatischer, als es wirklich sein dürfte“
Politologe Herfried Münkler über eine neue Epoche internationaler Friedensordnung – Teil 2: Interview
Bürger und Arbeiter stärken
Die Romero-Initiative unterstützt Zivilgesellschaften in Mittelamerika – Teil 2: Lokale Initiativen
Redet mehr über Geld!
Ohne ökonomisches Wissen bleiben Bürger unmündig – Teil 3: Leitartikel
„Die Situation Russlands wird sehr genau beobachtet“
Politologe Stephan Klingebiel über die Wirkung von Wirtschaftssanktionen – Teil 3: Interview
Von Behördendeutsch bis Einbürgerung
Wuppertals Flüchtlingshilfe Nordstadt – Teil 3: Lokale Initiativen
Eingeständnis des Versagens
Entschuldigung an Opfer und Hinterbliebene von Srebrenica – Europa-Vorbild: Niederlande
Diplomatische Kalaschnikow
Über einen missverstandenen Beruf – Glosse
Angst über Generationen
Teil 1: Leitartikel – Wie Weltgeschehen und Alltag unsere Sorgen prägen
Keine Panik!
Teil 2: Leitartikel – Angst als stotternder Motor der Vernunft
Wie die AfD stoppen?
Teil 3: Leitartikel – Plädoyer für eine an den Bedürfnissen der Mehrheit orientierte Politik
11 Millionen Eitelkeiten
Teil 1: Leitartikel – Fitnessstudios: zwischen Gesundheitstempeln, Muckibuden, Selbstverliebtheiten und Selbstgeißelung?
Im Namen der Schönheit
Teil 2: Leitartikel – Über körperliche Wunschbilder und fragwürdige Operationen
Ist Schönheit egal?
Teil 3: Leitartikel – Zwischen Body Positivity und Body Neutrality
Ungeschönte Wahrheiten
Teil 1: Leitartikel – Rücksicht zu nehmen darf nicht bedeuten, dem Publikum Urteilskraft abzusprechen
Allergisch gegen Allergiker
Teil 2: Leitartikel – Für gegenseitige Rücksichtnahme im Gesellschaftsbund
Armut ist materiell
Teil 3: Leitartikel – Die Theorie des Klassismus verkennt die Ursachen sozialer Ungerechtigkeit und ihre Therapie
Bröckelndes Fundament
Teil 1: Leitartikel – Was in Demokratien schief läuft
Demokratische Demut, bitte!
Teil 2: Leitartikel – In Berlin versucht der Senat, einen eindeutigen Volksentscheid zu sabotieren
Wem glauben wir?
Teil 3: Leitartikel – Von der Freiheit der Medien und ihres Publikums
Es ist nicht die Natur, Dummkopf!
Teil 1: Leitartikel – Es ist pure Ideologie, unsere Wirtschafts- und Sozialordnung als etwas Natürliches auszugeben
Wo komm ich her, wo will ich hin?
Teil 2: Leitartikel – Der Mensch zwischen Prägung und Selbstreifung