30.04.2011 - Geschafft! Der BVB Dortmund ist zum 7. Mal Deutscher Meister. Hausbesitzer streichen die Fassaden Ihrer Immobilien in den Vereinsfahnen. Fans lassen sich das Konterfei des Trainers auf den Rücken tätowieren. Die Kabarettistin Lioba Albus bedankt sich via Facebook bei dem 1. FC Köln, weil nur mit dessen Hilfe diese frühe Entscheidung möglich wurde. Und das Kulturmagazin choices führt erstmals auf seiner Homepage eine Fußball-Kolumne ein. Ist das alles noch nachzuvollziehen?
Ohne Zweifel. Natürlich. Wer die schlichten Häuser kennt, die vor fünfzig Jahren in den Vororten des Ruhrgebiets erstellt wurden, weiß, dass denen gelbe und schwarze Farbe in jedem Fall gut tut. Wer die üblichen in Tattoo-Studios verwendeten Motive kennt, weiß, dass an heißen Sommertagen im Freibad auf einem adipösen Leib das Gesicht von Jürgen Klopp angenehmer anzuschauen ist als Werke von Ed Hardy oder Parolen von Wehrsportgruppen. Und wer Lioba Albus kennt, weiß zwar, dass es zwar noch schönere Menschen als Jürgen Klopp gibt, aber auch, dass Lioba natürlich auf der richtigen Seite steht. Sie hat begriffen, dass Fußball viel mehr ist als eine Sportart. Fußball ist Kultur. Und deshalb gehört diese Freudenbekundung auch auf trailer-ruhr.de.
Die großen Erzählungen von Krieg und Frieden, von Liebe und Hass, von Triumph und Niedergang, sie werden nicht nur auf Bühnen und Leinwänden gezeigt, sondern auch auf dem Rasen, der die Welt bedeutet. Vor allem dort.
Krieg und Frieden? Natürlich ist Fußball Krieg, zumindest Kriegsspiel. Wie ansonsten nur zum Schützenfest ziehen die Divisionen in den Kampf. In Uniformen, bewaffnet mit Wimpeln und Fahnen, schmettern die Krieger der Moderne, also die Fußballfans, Hymnen, schon bevor sie ihre Sonderzüge besteigen. Archaische Triebe wie der Kampf ums Jagdrevier, um Beute und Weibchen kann der Primat in der Zeit von Tiefkühlkost, Grundbucheintragungen und Internet-Partnerbörsen am besten im Spiel ausagieren. Die Bundesliga ist also letztlich Spieltherapie. Dafür, dass so viele Aggressionen ausagiert werden können, ist der Schaden, den der Fußball anrichtet, unbedeutend. Auch hat sich der Fußball hierzulande in den letzten Jahren deutlich zivilisiert. Kaum mehr werden Dortmunder Straßenbahnen von Schalke-Fans demoliert und umgekehrt. Massenschlägereien finden nur noch in den Regionalligen statt. Die Erste Liga ist durch die horrenden Kartenpreise, die VIP-Lounges und einem stark gestiegenen Frauenanteil unter den Zuschauern dem pöbelnden Prekariat entrissen worden. Wenn tatsächlich Schalke am 21. Mai den Pokal erringt, könnte es sogar zwischen den beiden großen Revierclubs so etwas wie Akzeptanz geben.
Wo wir schon beim nächsten großen Fußballthema wären: Liebe und Hass. Wie mag es dem Torschützen gehen, der von seinen jubelnden zehn Mitspielern begraben auf dem Rasen liegt? Er wird geliebt. Dabei ist es völlig unerheblich, dass Fußball bis heute einer der homophobsten Sportarten ist. Im Zweifel gilt der Thekenspruch: „Wahre Liebe gibt es nur unter Männern!“ Hass natürlich auch. Schalke und Dortmund boten bislang dem Publikum die biblische Erzählung von Kain und Abel - mit wechselnden Rollen. Wenn die Verwirklichung einer einheitlichen Ruhrmetropole scheitert, dann an dem Kirchturmdenken der Lokalpolitiker und den Fußballfans des Reviers. Jeder Dortmunder, Bochumer, Schalker, Duisburger, Watterscheider oder gar Oberhausener Fan findet alle anderen doof. Das gehört zum Fußball. Wenn Fußballkultur allerdings hierzulande so funktionieren würde wie in London, wo gleich vier oder noch mehr Clubs um die Gunst der Stadtbevölkerung konkurrieren, wären wir der Ruhr-Stadt einen deutlichen Schritt näher gekommen.
Und schon sind wir bei der letzten großen Erzählung, die der Fußball im Allgemeinen und der aktuelle Meister im Besonderen zu bieten hat: Triumph und Niedergang. Der Ruhrgebietsfußball war immer erfolgreich, wenn das Ruhrgebiet erfolgreich war. Abschreckendes Beispiel: als Schalke in den dreißiger Jahren fast ständig Meister wurde, repräsentierten die hünenhaften Arbeitsmänner die Glorifizierung der Waffenschmiede des Deutschen Reiches. Die Meisterschaften des BVB in den Fünfzigern zeugten vom Wirtschaftswunder, das durch die Schwerindustrie erwirtschaftet wurde. Die Krise der Revierclubs markierten immer auch die Krisen der Region. Der BVB sackte in die 2. Liga, als die Zechen dichtgemacht wurden und die ersten Hochöfen erloschen. Die Erfolge vor 15 Jahren repräsentierten den Strukturwandel. Und jetzt? In diesem Jahr wird das Ruhrgebiet Deutscher Fußballmeister und Pokalsieger. Wenn wir uns endlich als Metropole begreifen, haben wir gewonnen. Sogar gegen Bayer und Bayern.
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