Sechzehn Seiten „Fusseln“. Vor rund 10 Jahren veröffentlichte der Autor Wolfram Lotz diese kleine Sammlung an Einzeilern, die vom Verlust, vom Verfehlen, vom Unerreichbaren erzählen. Ein Schatten der Melancholie liegt über diesem Text, den das Theater der Keller als Silvester-Premiere herausgebracht hat. Wehmütiger Rückblick auf ein Jahr oder gar auf das Leben selbst?
Dass es kein Trauergesang wurde, ist Regisseurin Charlotte Sprenger zu verdanken, die sich aus den Schülern des Kellers einen 12-köpfigen Chor zusammengestellt hat. In der großen Halle steht dieses gemischtgeschlechtliche Grüppchen in kurzen, beige- und grünfarbenen Pailletten-Kleidchen. Es ist eine entindividualisierte amorphe Masse, die durch ihre Choreografie das melancholische Wortgeklingel von Lotz mit einem Subtext an Gefühlszuständen unterlegt. Anfangs wird fröhlich-ungelenk herumgesprungen, man rottet sich schützend zusammen, berät sich, bricht in eine übermotorische Hektik aus, stürzt in sich zusammen, fasst wieder Hoffnung, gerät in wütende Emphase – ist die emotionale Achterbahn einer Menge, so komisch wie verblendet.
Es bleibt dahingestellt, ob die Regie damit ein Bild der Jugend zeichnen will. Schließlich schälen sich auch Momente einer sozialen Ornamentik heraus, wenn die Truppe in Streit gerät, sich bekämpft, wenn man gemeinsam dem Anführer folgt, ihn zerfleischt und in Panik ausbricht, ein Totenritual feiert. Die Gruppe gewinnt hier Züge einer Sekte. Am Ende wird es etwas albern, wenn Charlotte Sprenger ihre Truppe in Fellkostümen im Freien herumlaufen lässt. Sehenswert.
„Fusseln“ | R: Charlotte Sprenger | 13., 28. 2. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
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