Wonderland
Großbritannien 1999, Laufzeit: 107 Min.
Regie: Michael Winterbottom
Darsteller: Shirley Henderson, Gina McKee, Molly Parker, Ian Hart, John Simm, Peter Marfleet, Kika Markham, Jack Shepherd, Stuart Townsend
Haben englische Regisseure es leichter, Stoffe zu finden? Ken Loach, Mike Leigh oder jetzt Michael Winterbottom mit seinem neuen Film "Wonderland" schauen der 'lower class' aufs Maul und schon sprudelt munter das Fäkal- und Sex-Vokabular aus den versoffenen Mäulern ihrer hässlichen Helden. So unterhaltsam krass sind in keiner Nation die Unterschiede zwischen den Schichten: entweder schrecklich distinguierter Snobismus oder fröhlich-aggressives Suhlen in den Niederungen des sozialen Elends. Wenn ein Land so furchtbar auseinanderfällt, warum steht es eigentlich derart geschlossen hinter Tony Blair? Hierzulande gibt die Misere künstlerisch nur ganz selten etwas her, zuletzt etwa in "Nachtgestalten". Dafür debattiert man in den Talkrunden wortreich die "Gerechtigkeitslücke", die Hauptstadt ist mehr denn je geteilt zwischen schwarz und rot, aber auf der Leinwand: Hollywood-Spielereien, Kunstwelten, Tiefsinn. Dabei ist es ganz einfach. Ein einziges Wochenende dreier Schwestern in London wird in "Wonderland" abgehandelt. Nadia sucht Anschluss über Kontaktanzeigen, Debbie ist alleinerziehende Mutter und hat mit Sex überhaupt kein Problem, Molly ist hochschwanger. Dann sind da noch ihre Eltern, der Mutter griesgrämig, der Vater herzensgut, Mollys Mann, der gerade seinen Job geschmissen hat, Debbies trinkfreudiger Exgatte, ihr kleiner Sohn, die Freundinnen, die Arbeitskolleginnen, die Dates, die Streitereien, der Humor und die Verzweiflung. Raffiniert hat Winterbottom den ganz normalen Wahnsinn einer Londoner Familie in das Leben dieser Metropole eingebettet. Ganz aus der Ferne sieht man manchmal die Sehenswürdigkeiten herübergrüßen: die Tower Bridge, St. Pauls Cathedral. Ansonsten ist die Kamera bei den Menschen, sehr direkt, sehr authentisch. Fast ein "Dogma"-Film, denn der Film wurde ausschließlich an realen Schauplätzen mit äußerst reduzierter Crew und durchgängig mit Handkamera gedreht. Es gibt beispielsweise keine Statisten. In den Kneipen, kurz vor Schließung, ist der Alkoholspiegel tatsächlich so hoch, wie es im Film erscheint. "Sobald wir beispielsweise zuviel künstliches Licht einsetzten", erklärt Winterbottom, "wurden sich die Leute unserer Anwesenheit zu sehr bewusst und verhielten sich selbst verunsichert und künstlich." Es wurden kleine Radiomikrofone verwendet, sogar auf die berühmte Filmklappe verzichtet. Das Verfahren, das eigentlich nur für die Außenaufnahmen gedacht war, wurde dann auch für diejenigen Szenen weiterbenutzt, in denen die professionellen Darsteller in geschlossenen Sets arbeiteten. So gelang es dem Team, eine ungeheuer realistische Atmosphäre zu schaffen. Obwohl auch irreale Sequenzen mit Zeitraffer, Zeitlupe und nächtlichen Kamerafahrten raffiniert eingesetzt wurden, wird eigenartigerweise der Eindruck des Realistischen nur verstärkt. Und wie sich dies in bescheidenen Verhältnissen nun einmal gehört: in Winterbottoms Film überwiegt der Humor, der Optimismus, die Zuversicht, dass das Leben zu meistern ist.
(Heinz Holzapfel)
Stimmen für Veränderung
„How to Build a Library“ im Filmforum – Foyer 09/25
Eine sympathische Bruderkomödie
„Ganzer halber Bruder“ im Cinedom – Foyer 09/25
Wo Grenzen verschwinden und Geister sprechen
Das Afrika Film Festival Köln 2025 – Festival 09/25
Weinende Wände
Das Filmtheater als Begegnungs- und Spielstätte – Vorspann 09/25
„Es ist vertraut, aber dennoch spannend“
Schauspielerin Barbara Auer über „Miroirs No. 3“ – Roter Teppich 09/25
„Das Leben ist absurd, nicht der Film“
Regisseur Elmar Imanov über „Der Kuss des Grashüpfers“ – Gespräch zum Film 08/25
Jung-Bäuerinnen bei der Arbeit
„Milch ins Feuer“ im Odeon – Foyer 08/25
Gar nicht mal so stumm
Die Internationalen Stummfilmtage in Bonn 2025 – Festival 08/25
Drama, Baby?
Das Arthouse und der Schenkelklopfer – Vorspann 08/25
Sommergefühle
Leichte Kino-Kost im Juli – Vorspann 07/25
Im Abschiebegefängnis
„An Hour From the Middle of Nowhere“ im Filmhaus – Foyer 06/25
Fortsetzung folgt nicht
Serielles Erzählen in Arthouse und Mainstream – Vorspann 06/25
Wohnen im Film
Die Reihe Filmgeschichten mit „Träumen von Räumen“ im Filmforum NRW – Filmreihe 05/25
Filmischer Feminismus
Das IFFF 2025 in Köln – Festival 04/25
Der Filmfrühling ist angebrochen
Die erste Jahreshälfte startet mit bedeutenden Filmfestivals – Vorspann 04/25
Über die Todesangst
„Sterben ohne Gott“ im Filmhaus – Foyer 03/25
Alles für die Musik
Publikumspremiere von „Köln 75“ im Cinenova – Foyer 03/25
Schlechte Zeiten?
Merz im März und ernste Kost im Kino – Vorspann 03/25
Mit Trauer umgehen
„Poison – Eine Liebesgeschichte“ im Odeon – Foyer 02/25
Gute Zeiten
Wie lang darf ein Film sein? – Vorspann 02/25
Bittersüße Dystopie
„Ein schöner Ort“ in der Aula der KHM – Foyer 01/25
Zeit-Fragen
Symposium der dokumentarfilminitiative im Filmhaus – Foyer 01/25
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24