Nightmare Alley
USA 2021, Laufzeit: 150 Min., FSK 16
Regie: Guillermo del Toro
Darsteller: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Toni Collette
>> www.nightmarealley.de/
Phantastisch verruchtes del Toro-Märchen
Staunen und Grauen
„Nightmare Alley“ von Guillermo del Toro
Ein Wanderjahrmarkt im Jahr 1939, irgendwo im Hinterland der USA: Stanton 'Stan' Carlisle (Bradley Cooper), gleichermaßen ausgestattet mit gutem Gedächtnis und krimineller Energie, will seine zerrüttete Vergangenheit hinter sich lassen und heuert bei dem Direktor der Schausteller-Gemeinde (Willem Dafoe) an. Tarot-Kartenlegerin Zeena (Toni Collette) nimmt sich seiner an, Stan beobachtet und lernt. Als Meister der Manipulation und mit der hübschen Molly (Rooney Mara) an seiner Seite verzeichnet er schon bald als Mentalist Erfolg und Umsatz, was ihm schließlich Zugang zur High Society verschafft. Dort zählt wenig später auch der Tycoon Ezra Grindle (Richard Jenkins) zu seinen zahlungsfreudigen Klienten. Und er begegnet der mysteriösen Psychoanalytikerin Lilith (Cate Blanchett), die ihn durchschaut und mit der er sich eine Zusammenarbeit ausmalt. Lilith geht einen verhängnisvollen Deal mit Stan ein.
Eine bunte, karge Schaustellerwelt, gebrochene Figuren, Schein und Sein, menschliche Abgründe – die Romanvorlage von William Lindsay Gresham aus dem Jahr 1946 scheint wie geschaffen für den filmischen Kosmos des Guillermo del Toro. Das Buch wurde bereits 1947 mit Tyrone Power in der Hauptrolle verfilmt, ein raues Drama in Schwarzweiß – del Toro gibt dem Stoff nun seinen eigenen, unverkennbaren Anstrich: Über die erste Hälfte des Films breitet der Regisseur seine ganze inszenatorische Sogkraft aus, wirft Staunen und Grauen gleichermaßen auf die Leinwand. Die Einblicke in die Kunst der Mentalisten bietet dabei reichlich Fläche für psychologische und philosophische Einblicke in die Natur des Menschen, die del Toro augenzwinkernd ausbreitet. Wenn wir mit Stan lernen, wie sehr der Mensch danach strebt, gesehen zu werden, dann reicht sein Drama bis in unsere digitale Gegenwart. Das Spiel aus Macht und Manipulation gipfelt schließlich in der Begegnung Stans mit Lilith. Hier, in seiner zweiten Hälfte, ändert sich vollends die Tonalität des Dramas, das immer mehr zum Thriller geriert. Cate Blanchett gibt dabei meisterlich die Femme Fatale mit der körperlichen Anmut einer Gottesanbeterin. Derlei Erhabenheit kann die Story derweil auf der letzten Strecke nicht mehr bieten, zu überraschungsarm läuft sie aus.
Die Stärke aber sind ohnehin die Schauwerte, die Figuren, die Darsteller – die einzigartige Handschrift del Toros. Wie zuletzt mit „Shape of Water“ präsentiert sich der Regisseur als Märchenonkel für Erwachsene, der auch gern mal explizit wird in der Gewaltdarstellung. Und anders als in mancher Mär, geht das Grauen bei del Toro wie gewöhnlich nicht von unmenschlichen Kreaturen aus, sondern vom Menschen selbst – sei es, wie in „Shape of Water“, durch einen kaputten Sicherheitschef, sei es, wie in „Pans Labyrinth“, durch ein ganzes System, dem Faschismus. Zugleich bleibt del Toro in seinem Kosmos versöhnlich, spendet immer auch wahlweise derben oder stillen Humor und findet Zuversicht eben dort, wo so vieles Schlechtes steckt – im Menschen selbst. Die Liebe bleibt edel und tragend, sei es gegenüber Menschen, Amphibienwesen oder, „Hellboy“ lässt grüßen, Katzen.
„Nightmare Alley“ umschifft diesmal das Phantastische. Das Phantastische ist hier bloß ein Trick, wenn Stan als früher Uri Geller die staunenden Zuschauer mit Verbal-Code und geschulter Intuition hinters Licht führt. Del Toro erzählt von der Verlorenheit des Einzelnen und der Heilung in der Gemeinschaft. Von der Sehnsucht nach Liebe. Von Aufstieg und Fall, von Vertrauen und Verrat, von Manipulation und Selbsttäuschung. Und von dem Zauber, den wir Menschen lieben. In der Manege, auf der Bühne – und im Kino.
(Hartmut Ernst)
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