Leave No Trace
USA 2018, Laufzeit: 108 Min., FSK 6
Regie: Debra Granik
Darsteller: Ben Foster, Thomasin McKenzie, Jeff Kober
Außenseiterdrama
Wohin?
„Leave No Trace” von Debra Granik
Unweigerlich steht er im Raum, der Vergleich zu „Captain Fantastic“ aus dem Jahr 2016, in dem Regisseur Matt Ross eine Aussteigerfamilie, angeführt vom alleinerziehenden Vater, auf die „zivilisierte“ US-Realität loslässt. „Leave No Trace“ ähnelt der Tragikomödie inszenatorisch in den ersten Einstellungen und inhaltlich in der Grundausrichtung. Zugleich aber liefert die wunderbare Debra Granik („Winter’s Bone“) etwas vollkommen anderes.
Kriegsveteran Will (Ben Foster) ist traumatisiert vom Kriegseinsatz, jetzt lebt er mit seiner jugendlichen Tochter Tom (Thomasin Harcourt McKenzie) versteckt im bewaldeten Nationalpark in Oregon. Sie sammeln Pilze und Beeren, schlafen im Zelt, und wenn es zu feucht ist für den Feuerstein, tut es zur Not auch mal der Campingkocher. Hin und wieder gibt es einen Obolus vom Amt, von dem Eier und Orangen gekauft werden. Dann aber wird das illegale Camp entdeckt, Vater und Tochter werden verhaftet. Die Sozialbehörde ist fürsorglich, bietet beiden eine Unterkunft an, weit ab vom Schuss. Tom lernt Gleichaltrige kennen und baut Vertrauen auf, wodurch sich der starre Fokus auf den Vater verschiebt. Will hingegen sieht sich konfrontiert mit Bürokratie, mit gruseligen Christen und einem Job als Weihnachtsbaumfäller. Vor allem aber ist es sein Kriegstrauma, das ihn in die neuerliche Flucht treibt, in die er seine Tochter, die sich zunehmend unwillig zeigt, mitzerrt.
Und damit sind wir schon beim grundlegenden Unterschied zu „Captain Fantastic“: Bildet letzterer eine tragikomische, märchenhafte Parabel über einen Vater, die die kapitalistische Gesellschaft aus Protest meidet, so ist hier die blinde, tragische Flucht das Zugpferd. Dort der intellektuell untermauerte Überbau, der maoistisch geprägte Privatunterricht durch den Vater, der in der Folge das Bildungswesen des Staates höchstlächerlich bloßstellt. Hier: ein altes Lexikon und ein Schachbrett. Und ein Vater, der den Fragen seiner Tochter ausweicht. Will ist von vorneherein verloren, gebrochen, eine tragische Figur. Seine Tochter ist es nicht. Nur ist der Vater ihr einzige Bezugspunkt. Bisher.
Die westliche Gesellschaft bildet auch in diesem Drama nicht das Ideal. Nur geht es Debra Granik weniger um Konfrontation als vielmehr um die optimistische Suche nach Mitmenschlichkeit. Die gute Nachricht: Granik gibt die Hoffnung darauf nicht auf. Die schlechte: Empathie gibt es hier mit viel Glück bei der Sozialbehörde abzuholen. Oder sie wird einem von anderen Gestrandeten am Rand der Gesellschaft entgegengebracht.
Ben Foster wird verdient präsenter auf der Leinwand und stemmt nach „The Program“ seine zweite relevante Hauptrolle. Thomasin Harcourt McKenzie überzeugt mit ihrem Debüt. Und Debra Granik weiß, beide zu führen. Die Regisseurin bleibt sich treu, erzählt unverfälscht aus dem Abseits und verliert dabei lieber ein Wort zu wenig als eines zu viel. „Captain Fantastic“ mag im Vergleich verklärt erscheinen. Gelungen verklärt allerdings, und somit ist „Leave No Trace“ weder der bessere noch der schlechtere „Captain Fantastic“, sondern schlichtweg ein anderer Film.
(Hartmut Ernst)
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