Doggy Style
USA 2023, Laufzeit: 93 Min., FSK 16
Regie: Josh Greenbaum
>> www.upig.de/micro/doggy-style
Dreckige Tierfabel
Pimmel, Rosette, Vagina
„Doggy Style“ von Josh Greenbaum
Es gibt Haushunde, und es gibt Streuner, so erzählt uns dieser Film. Haushunde sind blind verliebt in Frau- und Herrchen. Hoffnungslos treue und folgsame Gefährten. Wiederfährt ihnen Böses durch die Besitzer*innen, so deuten sie es in Gutes um. Der Haushund: unverbesserlicher Freund des Menschen. Reggie ist ein solcher Hund. Sein Herrchen Doug (Will Forte) kann ihn nicht leiden, der Kläffer ist bloß lästige Hinterlassenschaft seiner Ex. Dougs Versuche, Reggie loszuwerden, missinterpretiert dieser als spielerische Herausforderung. Bis Reggie schließlich ganz weit weg ausgesetzt wird und dort anderen herren- und damenlosen Hunden begegnet. Streunern! Anders als ihre domestizierten Verwandten, durchschauen und verabscheuen Streuner die Menschen, vor allem, so heißt es hier frech: die weißen. Streuner haben eigene Regeln, wie: Rammel was du willst! Oder: Was du anpisst, gehört dir! Eines aber haben Haushunde und Streuner gemeinsam, sie benennen die Dinge beim Namen: Pimmel, Rosette, Vagina. Weil sie ja, anders als der Mensch, ungehemmt sind. Weil Hunde einfach sagen, was sie denken. Also, wenn Menschen Hunde sprechen lassen.
Drehbuchautor Dan Perrault sagt auch, was er denkt. Indem er das Drehbuch zu dieser Tierfabel für Menschen ab 16 Jahren schreibt: Perrault denkt: Pimmel, Rosette, Vagina. Und das nicht zu knapp.
Der Autor dieser Zeilen hat einen Ehrenkodex: Schau Filme bis zum Ende, auch wenn es weh tut. Das ist schließlich dein Job. Außerdem lässt sich ein Film nur in seiner Gesamtheit betrachten. OK, stimmt nicht immer, manchmal erfasst man einen Film innerhalb von zehn Minuten in seiner Gesamtheit. Aber der eherne Ansatz bleibt: Sitzenbleiben bis in die Tiefen des Abspanns!
Doch es gibt Ausnahmen. Scheiß auf den Kodex! Die letzte Ausnahme war die Musicalverfilmung „Cats“ von 2019. Jetzt also ein Hundefilm. Der Autor verlässt nach etwa 45 Minuten den Saal, weil er es nicht mehr ausgehalten hat. Und weil er davon überzeugt ist, den Film bereits in seiner Gesamtheit erfasst zu haben (Kolleg*innen, die durchgehalten haben, bestätigten das).
Wenn Menschen Fabeln erzählen, wenn sie Tiere vermenschlichen, dann erzählen diese Menschen nicht von den Tieren, sondern von sich selbst. Der Mensch kann nur von sich selbst erzählen, von Seinesgleichen. Der Mensch kann wesensfremde Tiere studieren und unterjochen, aber kein Mensch kann sich wirklich in ein anderes wesensfremdes Lebewesen hineinversetzen. Versetzt er sich im kreativen Spiel in ein Tier hinein, dient ihm das Tier als Metapher, als Projektion. So kann man von den Tiererzählungen immer auf die Erzähler*innen schließen.
Perrault und Regisseur Josh Greenbaum indes versuchen irgendwie auch zu erzählen, wie Hunde denken. An und für sich eine nette Idee: Zum einen wird ungefiltert gesagt, was man denkt (kennen wir auch mit Menschen, siehe „Der Dummschwätzer“). Zum anderen sind Missverständnisse vorprogrammiert. Entsprechend groß ist das Potenzial für Humor und Tragik. „Doggy Style“ versucht’s mit Humor und scheitert.
Dabei hätte man das durchaus charmant gestalten können: Es gibt eine witzige Szene in dem Film – besagte Kolleg*innen bezeugen auch dies: eine witzige Szene, in der ein „Erzählhund“ auf dem Rummelplatz Intimes über sein Herrchen berichtet. Eine Szene, ein Moment, dessen Humor, Überraschungsmoment und Gangart einen ganzen Film hätte tragen können. Tut er aber leider nicht. Kurz darauf erleben die Hunde ein Feuerwerk – und die Zuschauer‘*innen erleben, wie Hunde ein Feuerwerk erleben. Laut! Auch dieser Einblick hat Potenzial. Stattdessen: Pimmel, Rosette, Vagina.
Wer sich, wie wir, an dieser Stelle über den Einsatz derlei expliziter Sprache echauffiert, wird gern als bieder abgestempelt. Dabei hätten wir kein Problem damit, unentwegt Pimmel, Rosette, Vagina zu sagen. Wir fragen uns bloß: Warum? Stattdessen: Filmemacher, die derlei Begriffe am laufenden Band rausbellen. Typen, die cool sein und provozieren wollen, aber bloß langweilen. Typen, die rebellisch sein wollen, aber tatsächlich vor allem eines sind: in höchstem Maße bieder.
Abgesehen von seiner ordinär infantilen Ausrichtung (es bleibt nicht bloß bei verbalen Entgleisungen), ist dieser Streifen durchweg laut und anstrengend und stolpert wiederholt in Sachen Logik. Auch damit findet er gewiss sein Publikum – jeder Film findet es. Alle anderen müssen das eine oder andere Auge zudrücken. Wir drücken beide Augen zu und beneiden Hunde darum, dass sie ihre Nervenbahnen von Gehör zum Gehirn bei Bedarf einfach mal abschalten können. Das würde mitunter helfen, im Kino sitzen zu bleiben.
(Hartmut Ernst)
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24