Alice Schwarzer
Deutschland, Österreich 2022, Laufzeit: 107 Min., FSK 12
Regie: Sabine Derflinger
>> aliceschwarzerfilm.de/
Aufschlussreiche Doku über die berühmte deutsche Feministin
Der große Unterschied
„Alice Schwarzer“ von Sabine Derflinger
Es ist und bleibt Mühe. Seit fünfzig Jahren kämpft und streitet Alice Schwarzer für die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Mit Schalk und rhetorischer Schlagkraft, mit Herz und Intellekt. Nimmermüd bis heute. Heute, wo das Recht auf Abtreibung wieder fundamental in Frage gestellt wird. Radikal legitimiert in den USA, hierzulande mit einer Politik der Auflagen, die auf den Wirkungskreis einer verstaubten, vielerlei schändlichen Religion zurückzuführen ist. Schwarzers Errungenschaften dahin? So wie die Errungenschaften der ersten Frauenbewegung dahin schienen, als Alice Schwarzers Engagement begann? Nein. Man muss aber das Erkämpfte wach halten. So wie Schwarzer es damals tat mit den „Schwestern von Gestern“, einer Serie über die erste Frauenbewegung in ihrer Zeitschrift Emma. Und so, wie es nun dieser Dokumentarfilm tut mit Schwarzer selbst.
„Vorstadtweiber“-Regisseurin Sabine Derflinger ist ganz nah dran an Alice Schwarzer, sowohl im unmittelbaren Dialog als auch über den umfangreichen medialen Fundus. Und dort gibt es viel zu entdecken. Von Schwarzers Jugend bei den Großeltern in Wuppertal bis hin zur aktuellen Redaktionssitzung zieht der Film anekdotisch einen illustren Rückblick auf Schwarzers Leben und Wirken. Ruft Bekanntes und Vergessenes (und für so manchen gern Verdrängtes) in Erinnerung. Ein kurzweiliger Rückblick auf eine Lebensleistung, die anschaulich staunen lässt und stocken, die lehrreich ist, die wundern lässt und schmunzeln – bevorzugt und zu Recht über das männliche Geschlecht.
Derflinger ist nah dran an Schwarzer. Das ist weithin förderlich, weil nah und unmittelbar. Nur löst sich der Film dabei kaum aus der Umarmung mit seiner Protagonistin. Schwarzer erklärt ihre Zeitschrift Emma explizit nicht zur Bibel und äußert ihre Bereitschaft zur Nachkritik. Der Film aber entbehrt einer kritischen Distanz, die ihn hätte bereichern können, und schwappt stattdessen an der Grenze zur Glorifizierung. Ohne Notwendigkeit. Denn das, was Alice Schwarzer geleistet hat und leistet, ist am Ende über jeden Makel erhaben. Zum Thema Kachelmann hätte man sich hier, anstatt eines knappen, abwiegelnden Statements Schwarzers, durchaus einen kritischeren Diskurs gewünscht. Eine Nachkritik. Der aber stellen sich weder Schwarzer noch Derflinger. Schwarzers vorsätzliches Steuerdelikt in der Vergangenheit bleibt vollends unerwähnt. Wobei das hier noch einleuchten darf, weil der Fokus der Doku vornehmlich auf der Feministin Alice Schwarzer liegt. Und doch nicht nur. Es geht auch um die Person, um die Frau, den Menschen. Und dem hätte ein Quantum Makel durchaus gestanden.
Der Film zeichnet viele Begegnungen nach. Über einzelne huscht er arg rasch hinweg – so bleibt der Austausch mit Lady Bitch Ray kaum nachvollziehbar. Die meisten aber treffen wunderbar den Kern. Wenn Schwarzer in der Talkshow den eitlen Macho Klaus Löwitsch düpiert. Wenn der Film unkommentiert den Bayerischen Programmdirektor auflaufen lässt. Wenn der Mann an sich hier schlichtweg nicht versteht, worum es geht. Ebenso amüsant, wenn die Feministin schmunzelnd darlegt, wie sie dereinst den Jungen in den Hintern gekniffen hat und warum sie niemals selbst einen Autoreifen wechseln würde.
Die Kranzniederlegung für die unbekannte Frau des unbekannten Soldaten, Schwarzers Buch „Der kleine Unterschied – und seine großen Folgen“, der Rechtsstreit zu den Nackt-Covern des Stern, § 218, „Bandits“, „Sisters“, Kopftuch, Silvester in Köln 2015 – chronologisch folgt der Film den gesellschaftspolitischen Baustellen, denen Schwarzer sich gestellt hat und stellt. Aktuell verurteilt die Feministin „falsche Toleranz“, warnt vor der Spaltung der Feministinnen. Zeigt Kante wie eh und je. Und ganz grundsätzlich kritisiert sie, dass sie selten in der Sache angegriffen worden ist, sondern überwiegend als Person diffamiert wurde. Die Doku erzählt von der Sache. Berührend, amüsant, aufschlussreich – und überfällig.
(Hartmut Ernst)
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