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Probenfoto „Parzival"
Foto: Thomas Morsch

„Es gibt keinen Schutz vor der Welt"

29. Januar 2015

Stefan Bachmann inszeniert Wolfram von Eschenbachs Versroman „Parzival" am Schauspiel Köln – Premiere 02/15

Eitel und neidisch sind Schriftsteller immer schon gewesen. Und am eigenen Image haben sie auch kräftig herumgebastelt. Wolfram von Eschenbach, zwischen 1170 und 1175 geboren, stilisierte sich zum unwissenden Laienautor, kannte sich aber in Sprachen und Wissenschaft überdurchschnittlich gut aus. Und austeilen konnte er auch. In seinem Versroman „Parzival" macht er sich über den Schriftstellerkollegen Hartmut von Aue lustig. Autoren kennen keine Gnade. „Parzival" entstand wahrscheinlich in den Nullerjahren des 13. Jahrhunderts und war schon damals ein Bestseller. Der Roman schildert in einer mit zahlreichen Nebensträngen angereicherten Doppelhandlung die Geschichte des Titelhelden. Er wurde von seiner Mutter unritterlich erzogen, verlässt sie und eignet sich blutig und unter Schmerzen ritterliches Knowhow an – bis er endlich in Artus' Tafelrunde aufgenommen wird. Durch Zufall gelangt er zur Gralsburg, versäumt jedoch, mit der richtigen Frage den Gralskönig von seinem Leid zu erlösen. Als Gegenbild zum irrenden Parzival dient die Geschichte des verantwortungsvollen Gawan und seiner Abenteuer. Am Ende ist es allerdings Parzival, der die Gralsherrschaft antritt.

choices: Herr Bachmann, bei „Parzival" denkt man an Ritterburgen und Gralssuche. Was ist der Gral und kann ich den eigentlich auch finden?
Stefan Bachmann: Sie sind im Dilemma des Menschlichen verhaftet, weil Sie nicht wissen, was Sie suchen. Weil Sie das nicht kennen, was Sie suchen. Und wenn Sie es jetzt suchen, dann werden sie es auch nicht finden. Trotzdem müssen Sie es suchen, weil sich sonst ihr Leben nicht erfüllt. Der Gral ist also nur auf Umwegen zu haben.

Liegt in der Suche nach dem Gral ein utopisches Moment oder sind die Gralsritter nur eine reaktionäre Truppe?

​Stefan Bachmann
Foto: privat
Stefan Bachmann, Jahrgang1966, hat noch während seines Studiums der Germanistik, Theaterwissenschaft und Religionswissenschaft die Theatergruppe Affekt gegründet. Parallel arbeitet er bereits an freier Regisseur an Häusern in Bonn, Zürich Wien und Hamburg. 1998 wurde Stefan Bachmann zum Schauspieldirektor des Theater Basel berufen. Nach erfolgreichen fünf Jahren begibt er sich auf eine einjährige Weltreise. Danach nimmt Bachmann wieder seine Tätigkeit als freier Regisseur wieder auf, seit 2009 ist er fester Regisseur am Burgtheater Wien. Mit der Spielzeit 2013/14 übernimmt er die Intendanz am Schauspiel Köln. Stefan Bachmann ist verheiratet mit der Schauspielerin Melanie Kretschmann. Gemeinsam haben sie 3 Kinder im Alter zwischen 8 und 11.

Wolfram von Eschenbach erzählt keine Heilsgeschichte, nichts Neomessianisches wie später Richard Wagner, sondern es ist einfacher und komplizierter gleichzeitig. Es geht um die Reise eines Menschen zu sich selbst oder zum Menschsein. Vielleicht auch zu einer Art von Vollkommenheit, in der Art, dass sich der Lebenssinn erfüllt. An der Oberfläche ist „Parzival" fast eine kindliche Rittergeschichte mit vielen Schlachten und Kämpfen, die manchmal redundant sind, mit viel Märchenhaftem. Je tiefer man einsteigt, desto komplexer wird es. „Parzival" ist ein Urmythos, eine Urquelle des Erzählens überhaupt. Wolfram von Eschenbach bedient sich unterschiedlicher Genres, lässt den Titelhelden irgendwann auch mal fallen und ersetzt ihn durch Gawan. Auch das hat eine Bedeutung.

Welche?
Parzival muss, als er von der Tafelrunde verstoßen wird, erst einmal alleine sein. Wir dürfen ihn in seinem Elend, im Sumpf seiner Existenz nicht sehen. Er wird ersetzt, durch sein Gegenbild. Gawan ist der von vornherein zivilisierte, gut ausgebildete Ritter, ein Streber und Womanizer zugleich. Mit ihm wird der Roman parodistischer, skurriler, märchenhafter. Es ist ein Comic Relief und gleichzeitig wird Gawan vom Autor komplett zerlegt.

...zugleich hat Parzival auch noch einen Bruder Feirefiz...
Ich finde so spannend, dass die Geschichte von Parzivals Vater Gahmuret zwischen diesen Weltenden hin und herpendelt, zwischen dem Orient und dem Okzident, wo er jeweils einen Sohn gezeugt hat: Feirefiz und Parzival, muslimisch der eine, christlich der andere. Beide bekämpfen sich, erkennen sich dann ineinander und finden zu einer Versöhnung. Das berührt mich sehr. So naiv das ist, so schön ist es auch. Gerade jetzt, wo sich das so gar nicht in der Realität abzeichnet.

Ist „Parzival" eine Art Entwicklungsroman?
Nicht in einem psychologischen Sinn, aber doch mit einer Ahnung davon. Es geht darum zu zeigen, dass zur Menschwerdung Phasen der Wandlung gehören, damit bestimmt Dinge sich erfüllen können. Das Ende ist dann nahezu bürgerlich: Parzival kriegt die Frau, sie bekommt Zwillinge, er kriegt den Job als Gralskönig. Der Weg dahin ist allerdings sehr kompliziert. Parzival ist denkbar ungeeignet durch seine Kindheit als wildes Waldkind mit einer überbehütenden Mutter Herzeloyde, die ihn von allem Weltlichen abtrennt. Das ist Eskapismus. Es gibt keinen Schutz vor der Welt, wie wir jetzt gerade wieder feststellen.
Parzival verlässt seine Mutter, um ein Ritter zu werden.
Dieses Rittertum ist etwas, das mit Kultur, mit einem Verhaltenskodex zu tun hat, es ist eine Form der Sozialisation. Aber das reicht nicht. Das zeigt sich an Gurnemanz, dem perfekten Trainer, dem Pep Guardiola des Rittertums. Er bringt Parzival alles bei, der aber dann trotzdem bei der ersten Begegnung mit Anfortas, dem Gralskönig, scheitert. Wenn das Korsett des Gelernten zu starr ist, dann macht man zwar vieles richtig, die Hauptsache aber trotzdem falsch. Mensch zu sein, bedeutet auch, mit den Unregelmäßigkeiten klar zu kommen, und das wiederum hat mit einer anderen Qualität des Empfindens zu tun.

Bei seinem ersten Besuch bei Anfortas in der Gralsburg scheitert Parzival, weil er eine bestimmte Frage nicht stellt. Geht es da um Mitleid?
Ich habe lange darüber nachgedacht, warum er diese Frage nicht stellt. Es scheint in dem Moment unangenehm zu sein, auf das Leid zu schauen, den Gestank von Anfortas zu ertragen. Wer geht schon gerne in ein Altersheim oder eine Sterbeklinik und konfrontiert sich mit dem Schmerz, mit der Vergänglichkeit, mit dem Tod? Wenn ich die richtige Frage stelle, muss ich mich einlassen.

Sie haben eine Vorliebe für epische Werke wie das Buch Genesis oder Ayn Rands Wälzer „Der Streik". „Parzival" ist eine Geschichte mit sehr vielen Nebenhandlungen. Besteht da die Hauptarbeit nicht vor allem im Streichen?
Wir haben eine ganze Menge gestrichen und trotzdem die Struktur und Dramaturgie des Romans beibehalten. Das war mir wichtig. Es gibt die Vorgeschichte, es gibt die einzelnen Stationen und natürlich auch die Gawan-Geschichte. Neu ist vielleicht, dass ich mit einem epischen Text auf dem Theater arbeite, ohne ihn in eine dialogische Theatersprache zu übersetzen. Was Erzählung ist, bleibt auch auf der Bühne Erzählung, was Dialog ist, bleibt Dialog. Es gibt keine Textbearbeitung, nur Kürzungen. Das erzeugt neue Formen von theatralischen Erzählweisen. Jeder Schauspieler erzählt auch, verschmilzt nicht völlig mit der Figur, repräsentiert etwas.

Sie sind, wenn alles gut geht, im letzten Jahr der Interimszeit. Glauben Sie, dass Sie im November an den Offenbachplatz umziehen werden?
Ich glaube fest daran, dass wir am 7. November das Haus mit einer Premiere eröffnen. Ob dann schon wirklich alles fertig sein wird, ist eine andere Frage.

Was werden Sie vermissen, wenn sie umziehen?
Ich werde die Atmosphäre vermissen, die hier in Mülheim entstanden ist. Die Begegnungen mit Menschen, die normalerweise nicht ins Theater gehen. Man kann sich hier mit Theaterarbeit anders definieren, kann ein anderes Theater machen, das eher mit Stadtentwicklung zu tun hat, das andere Menschen mit einbezieht wie bei „Die Lücke". Es kommt nicht so abgehoben bürgerlich daher, die Schwellenangst ist niedriger.

Müssen Sie in der Innenstadt einen anderen Spielplan machen als in Mülheim?
Ich begreife das als Chance. Ich kann auch wieder andere Sachen machen. Wenn ich mir den Spielplan für die erste Spielzeit am Offenbachplatz anschaue, erscheint er mir unkonventioneller als der hier im Depot. Ich möchte ein breites Spektrum anbieten. Dennoch müssen wir rechtsrheinisch präsent bleiben. Ich versuche den Spielort in Mülheim in einer verkleinerten Form zu halten. Das hat natürlich mit Geld zu tun. Aber es ist auch von der Stadt und der Politik gewünscht und es ist auch mein Wunsch. Ich bin vorsichtig, aber ich glaube da sehr dran.

Lesen Sie hier die Rezension zur aktuellen Inszenierung von „Parzival“ am Schauspiel Köln.

„Parzival" | Regie: Stefan Bachmann | Fr 6.2.(P), Mi 11.2., Fr 20.2., So 28.2. je 19.30 Uhr, So 8.2. 16 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 28240

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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