„Was, Frauenfußball-WM? Is’ doch schon wieder fast ’ne Woche her.“ Geben Sie’s ruhig zu, so oder ähnlich haben Sie auf die Überschrift dieses Beitrags reagiert. Sind ja schließlich höchst schnelllebige Zeiten. Und außerdem spielt schon wieder Schalke gegen den BVB. Wie lange kann da – speziell im Ruhrgebiet – das Interesse an Frauenfußball anhalten? Ist zwar nur Supercup und noch nicht wieder Bundesliga … oder müsste man jetzt schreiben „Männer“-Bundesliga?
Die Wahrscheinlichkeit, dass künftig „Männer“ der „Bundesliga“ als notwendiger Zusatz zur Differenzierung vorangestellt werden muss, ist eher gering. Ein Boom des Frauenfußballs scheint nicht in Sicht, auch wenn sich in der kommenden Saison wohl ein paar mehr als jene knapp 1000 Zuschauer einfinden werden, die bisher im Schnitt zu den Spielen des amtierenden Meisters Turbine Potsdam gingen. Es spricht deutlich mehr für die Annahme, dass Frauenfußball auch künftig als punktuelles „Event“ wahrgenommen wird – ähnlich wie die Sportschütz/inn/en, die bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zuverlässig für Goldmedaillen sorgen. Nur dass die hiesigen Fußballfrauen dieses Mal im entscheidenden Moment nicht getroffen haben.
Abgesehen davon war die WM eine Sport-Großveranstaltung wie jede andere. Die Spielerinnen gaben die gleichen langweiligen, nichtssagenden Floskeln wie ihre männlichen Berufskollegen von sich und schienen Klischees und Stereotype bestätigen zu wollen: Brasiliens Star Marta kam gleichermaßen als „Ballzauberin“ wie als unerträgliche Zicke rüber, während japanische Spielerinnen immer höflich waren, im Gespräch immer lächelten und sich artig bei allen bedankten (den Dank an sich selbst eingeschlossen). Immerhin hatte nach dem gewonnenen Halbfinale die zweifache Torschützin Nahomi Kawasumi eine Zusatzinformation parat: Nein, nervös gewesen seien sie gar nicht vor dem Spiel. Was durchaus glaubwürdig ist. Wer Tsunami, Atomkatastrophe und regelmäßig Erdbeben mitmacht, ist durch ein Stadion mit 45.000 Leuten und Gegner Schweden nicht zu beeindrucken. Auf der anderen Seite gab Abby Wambach nach dem Finaleinzug der US-Amerikanerinnen zu Protokoll: „Wir haben so hart gearbeitet.“ Und „fokussiert“ seien sie natürlich auch gewesen. Hat irgendein US-amerikanischer Sportler nach einem gewonnen Spiel/Kampf/Wettbewerb je etwas anderes geäußert?
Hätte doch eine Spielerin stattdessen mal etwas gesagt wie: „Och nö, auf Training vor dem Spiel hatten wir keine Lust. Wir sind erst zum Friseur und dann shoppen gegangen. Hinterher waren wir noch auf einen Latte Macchiato im Café und haben drei Stunden telefoniert.“ Um dann nach einer kurzen Kunstpause anzufügen: „Nee, stimmt gar nicht – war nur’n Witz! Wir haben natürlich super hart gearbeitet und waren to-tal fokussiert!“ Oder es hätte eine japanische Spielerin erzählt: „Wir haben die Gelegenheit genutzt, uns bei den Deutschen mal umzuhören, wie man aus der Atomkraft aussteigen und auf Erneuerbare umstellen kann – im Ernst, kein Scheiß!“
Wenigstens bleibt das Spiel auf dem Rasen nach wie vor nur begrenzt vorhersehbar. Die Japanerinnen zogen nicht nur im Halbfinale gegen Schweden einen streckenweise atemberaubenden Kombinations- und Kurzpass-Kreisel auf, sie verfügten mit der kleinsten auch über die letztlich erfolgreichste Torhüterin des Turniers (was „Godzilla“-mäßige Spekulationen über den Ursprung der japanischen Superkräfte nährt). Und ja, es war tatsächlich ein packendes und streckenweise hochklassiges Finale.
Gleichwohl bleibt Unbehagen über ein „Event“, das abseits des Spielfelds starr durchgeplanten Abläufen folgte und Sprechblasen produzierte. Warum dann nicht auch gleich eine Interviewschleife mit den Stars der Favoritenteams vorproduzieren und nach jedem Spiel ergebnisabhängig abfahren? Für den Siegfall erzählt Abby Wambach, dass sie unheimlich hart gearbeitet hatten und extrem fokussiert waren. Für den Fall einer Niederlage – was bei US-Amerikaner/inne/n eigentlich per se ausgeschlossen ist, fragen Sie dazu mal Chuck Norris (aber ganz vorsichtig!) – erzählt Hope Solo mit verkniffenem Gesicht, dass sie nur ein oder zwei, aber dafür entscheidende Fehler gemacht hätten und/oder im Elfmeterschießen an den eigenen Nerven (soll heißen: nicht am Gegner) gescheitert seien. Das kommt billiger, als die Reporter nach Spielschluss jedes Mal aufs Neue dieselbe Litanei abfragen zu lassen.
So hat auch diese Frauenfußball-WM bestätigt: Fußball im Fernsehen funktioniert am besten, wenn man vor und nach dem Spiel den Ton abstellt – und manchmal auch währenddessen.
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