Da steht er nun, der Wutbürger, und probt den Aufstand. Was wörtlich zu nehmen ist. Schauspielhaus-Chefin Karin Beier spiegelt die Politik in der Kunst und inszeniert eine Orchesterprobe. Stühle räumend schlurft Michael Wittenborn als Hausmeister-Faktotum zu Beginn rein und raus. Lang und stumm ist sie, die Exposition, mit der Beier den komödiantischen Grundton für die Text-Collage „Demokratie in Abendstunden“ setzt. Ein Scherzo sollte es wohl sein; heiter und beschwingt werden Klischees durchgespielt: der tyrannische Dirigent, das arme „Tutti-Schwein“ in der zweiten Reihe, die Eitelkeiten und Blödheiten, die kunstfeindlichen Tarifverträge staatstragender Künstlerbeamten.
Schon klar, es geht um Kunst als Laboratorium für demokratische Prozesse: Teilhabe, Mitbestimmung und Gleichheit werden durchdekliniert am Beispiel eines Orchesters. Pate standen Texte verschiedener, wie man so sagt, namhafter Autoren, was aber die Sache nicht besser macht. Der Versuch, die politische Tiefe an der komischen Oberfläche zu verstecken, bewegt sich nah am Banalen, bis dann die geordnete Welt des Bildungsbürgertums erwartungsgemäß zerfällt. Die Situation eskaliert, es regnet Papier, die Wände färben sich schwarz (beeindruckende Bühne: Johannes Schütz), und Julia Wieninger als Harfenistin mit Engelsflügeln greift zur Waffe. Politikpessimismus, der hedonistische Tanz auf dem Vulkan, der politikblinde Künstler und eben der Wutbürger – Karin Beier entwirft hier mit ihren sieben Musikern und zwölf Schauspielern großartige Bilder für eine Diagnose der gegenwärtigen politischen Kultur. Und doch: Beier zitiert sich fortwährend selbst; sie sucht die Groteske und verheddert sich im Plakativen. Das Kippspiel zwischen Fluxus, Farce und Karneval endet trotzig: Mag die Welt auch zugrunde gehen, die Kunst wird fortbestehen. „Wir spielen. Wir spielen“. Das ist keine Selbstkritik – das ist eine Kampfansage.
Kein Licht. Beier-Jelinek, die Zweite
Nach der Pause dann das düstere Gegenstück. Die Töne sind verschwunden in dem kalten Kosmos von Elfriede Jelineks Theatertext „Kein Licht.“. Zwei Musiker-Clowns suchen sie in ihrer Narrheit unverdrossen, während eine Japanerin Steckbriefe an die Wände des Glaskastens klebt. Es ist ein Weltuntergangszenario, eine apokalyptische Vision unter dem Eindruck des Reaktor-Unglücks in Fukushima. Der uraufgeführte Text gibt sich sardonisch lächelnd finster und kalauert zugleich an der Grenze des Erträglichen. Die Bilder im trüben Zwielicht reihen sich ein in das Jelineksche-Beiersche Nachdenken über den Menschen im Angesicht von selbstverschuldeten Katastrophen, die der Natur in die Schuhe geschoben werden. Doch an die inspirierende Wucht der fulminanten Inszenierung im letzten Jahr reicht dieses fast schon depressive Double-Feature nicht heran. Am Ende steht ein japanischer Abzählreim – eene, mene, muh und tot bist du. Und der trifft dann auch die vermeintlichen Wutbürger im Parkett.
„Demokratie in Abendstunden. Kein Licht“ von Beuys, Cage, Goetz u.a. & Elfriede Jelinek | R: Karin Beier | Schauspielhaus Köln | 4./20.11., 19.30 Uhr | 0221 22 12 84 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Zwischen den Fronten
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Die Grenzen des Theaters
„Was ihr wollt“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Lebensgeschichten für Leerstellen
„Vatermal“ am Schauspiel Köln – Prolog 01/25
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
Flucht auf die Titanic
„Muttertier“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/24
Parolen in Druckerschwärze
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 03/24
„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“
Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24
Dunkle Faszination
Franz Kafkas „Der Prozess“ am Schauspiel Köln – Auftritt 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24
Ein Martyrium der Erniedrigung
„Kim Jiyoung, geboren 1982“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/23
Wohin, David?
„Mein Onkel David“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 08/25
Glücklich ruinieren
Das Nö Theater mit „Monopoly“ im Kölner Kabarett Klüngelpütz – Auftritt 08/25
Wie der Hund mit Angst spielt
„Holmes & Watson“ beim NN Theater Freiluftfestival – Prolog 08/25
„Man darf nicht das falsche Leben leben“
Regisseur und Produzent Stefan Herrmann über „Ich, Samsa“ am Theater der Keller – Premiere 08/25
Vergessenes Weltwunder
„Mein Freund, der Baum, sieht rot“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 07/25
Die ungesehene Praktikantin
„Opus 132“ am Comedia Theater – Prolog 07/25
„Vielleicht wird die Kindheit outgesourct“
Regisseurin Viola Neumann über „Das Experiment“ am Freien Werkstatt Theater – Premiere 07/25
Improvisationen der Liebe
„Romeo und Julia. Ich fühl‘s nicht“ am Theater im Bauturm – Auftritt 07/25
Unter blauäugigen Hunden
„Traudl Junge – Im Schatten des Bösen“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 06/25
Die Hinrichtung der Wahrheit
„Prima Facie“ am Theater im Bauturm – Auftritt 06/25
Wurzeln inmitten von Ruinen
„Floating Seeds“ vom Theater der Keller – Prolog 06/25
„Erdig, nahbar, ehrlich“
Das Performance-Duo Katze und Krieg über „Alles wirklich“ im öffentlichen Raum – Premiere 06/25
Wieder Mensch sein dürfen
„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Leverkusener Erholungshaus – Theater am Rhein 05/25