Noch verbirgt der Eiserne im Bonner Theater Friedrich Schillers Räuber, die irgendwo zwischen Franken und Böhmen ihr Unwesen treiben. Wer jetzt dunkle Wälder oder rauchige Spelunken in Sachsen erwartet, wird bitter enttäuscht – oder angenehm überrascht. Denn Simon Solbergs Bühne ist ebenso reduziert wie seine Inszenierung. Wenn sich der Vorhang nämlich langsam hebt, ist dort auf der Bühne ein dunkler Menschenhaufen auf schwarzem Podest zu sehen, der sich langsam erhebt und sich choreografisch geschickt tänzerisch in zwei Lager teilt. Prodigys „Firestarter“ eröffnet den theatralischen Geschwisterkampf. Troublestarter ist wie immer Franz, der ungeliebte Teil der Familie, der im Homeoffice feststeckt, der den oder besser die Bediensteten machen darf – Daddy Max, der alte Moor, ist schließlich Graf und sein Besitz geht, wie sollte es in der alten Zeit auch anders sein, immer an den Erstgeborenen. Solberg hat den Aufmüpfigen Franz – „Warum bin ich nicht der Erste aus Mutterleib gekrochen?“ – mit Annika Schilling besetzt, auch sie scheint eine verirrte große Seele, die sich nicht nur gegen die Standessitten der Erbfolge, sondern gemeinsam mit Karl (Daniel Stock) auch gegen die erstarrten höfischen Machtstrukturen wendet, dumm nur das er den Spaß in Kneipen hat und sie die Dienstmagd spielen muss.
Die schwarzen Blöcke aus denen das Podest bestand, teilen nun die Bühne in wechselnde Szenerien, die oft fast nur von der Rückseite von vier senkrenkt stehenden Neonröhren beleuchtet werden. Die Choreografen Takao Baba und Solomon Quainoo lassen die Räuber immer wieder moven und rappen, was das Zeug hält, und treiben das olle Stück so in eine performative zeitgenössische Reduktion, mit der Solberg das Verwerfliche im eigentlich gerechtfertigten Aufruhr zeitlos macht. Spiegelberg (Gustav Schmidt) ist der eigentliche, großartige Puppetmaster, kein Revoluzzer, sondern ein Psycho, der über Leichen geht um seiner Gelüste willen. Er wird alle Moors in den Untergang treiben, er führt das Tribunal für den Schrecken an. Das Finale vor gelben Scheinwerfern, die Schwester begeht Selbstmord, Karl am Rande eines entsetzlichen Lebens, kein Hunger nach Glückseligkeit wurde gestillt. Wie immer. Karl – der Kampf geht weiter.
„Die Räuber“ | R: Simon Solberg | Sa 7.3., Sa 11.4. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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