Niemand hat die Absicht dem System Kunst zu unterstellen, dass es marode ist. Vor dem Urteil kommt schließlich die Analyse, die neben Produktion, Präsentation und Repräsentation für und mit dem Markt auch die Selbstbefreiung des Endproduktes beschreibt. In der Ausstellung „Systemanalyse“ werden also nicht nur Fragen gestellt nach der Entstehung und den Bedingungen der Bilder heute, sie werden auch an Wänden und in Objekt-Kästen von den sechs jungen New Yorker KünstlerInnen illustriert. Mitten auf dem platten Land in Neuss, wo einst Raketen in den Himmel strebten, steht die Langen Foundation, ein Beton-Kleinod von Tadeo Ando. In diesem Kunsttempel findet die windige Auseinandersetzung mit dem scheinbar einbetonierten System statt.
Es ist kaum verwunderlich, dass die sechs befreundeten KünstlerInnen insbesondere Reproduktionstechniken einsetzen und neben Fotografie und Siebdruck auch Computer, Scanner, Drucker oder Kopierer benutzen, um die Möglichkeiten zeitgenössischer Kunstproduktion auszuloten, denn das ist heute nicht nur mit dem Kunstmarkt, sondern auch kunsttheoretisch konform. Alle jungen Wilden, auch die so genannten, wollen und wollten die Lesart von Bildern unterlaufen, und schon das Informel der 1940er und 1950er Jahre atomisierte deren Inhalte. In Neuss treten insbesondere Technik, Produktion und Präsentation in den Vordergrund. Bilder und Objekte sollen so vor allem als Instrumente dienen, die den Blick öffnen für die Netzwerke, deren Teil sie sind.
Und das künstlerische Netzwerk, dass das Sammlerehepaar Langen da zusammengetragen hat, lässt sich nicht so leicht verwirren. Bevor der Besucher den Weg in die „Systemanalyse“ findet, sollte er die Ausstellung „Japanische Naturdarstellungen“ gesehen haben. Sie zeigt Werke aus der Tradition der monochromen Tuschmalerei – in Japan auch „suiboku-ga“ genannt –, die im Zuge der Übernahme des Zen-Buddhismus in Japan eingeführt wurde. Die monochrome Tuschmalerei war Ausdruck der Maxime des Zen-Buddhismus: maximale Wirkung mit minimalem Einsatz der Mittel. Nur das Wesentliche, der erste und der letzte Pinselstrich eines Prozesses, werden auf Papier oder Seide dargestellt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Liz Deschenes, die vier schwarze Fotogramme in der Halle montiert hat, deren Oberfläche paradoxerweise durch maximalen Lichteinfall entstand und die nun, je nach Blickwinkel ohne Wertung, die jeweilige Architektur des Raumes spiegeln.
Daneben hängt ein Radiator aus Marmor, mit dem das Künstlerkollektiv Reena Spaulings bewusst zufällig keine Motivfindung mehr verbindet. Es hätte also auch genauso gut ein Fön sein können oder eine rote Fahne mit Plastikadler („Flag, Red“ 2010), die über dem Abgang ins Untergeschoss hängt. Das ist selbst erklärt eine gewaltige Unterminierung der institutionellen Strukturen des Systems, in dem die Arbeiten aber selbst mit traditionellem Katalog präsentiert werden. Noch thronen aber über allem „Das Korbbild“ (1940) von Kurt Schwitters und ein Waldbild („Forêt“, 1930) von Max Ernst, und irgendwie hat sich auch Anselm Kiefer mit ein paar Bleiplatten zwischen den zeitgenössischen Reproduktionstechniken behauptet. Na also.
„Systemanalyse“
bis 8.5.
Langen Foundation Neuss
02182 57 01 1
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