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Köln liegt mitten in Europa, Collage: Maxi Braun

„Chacun sa merde!“

30. April 2014

Merkel, Europa und die Bürokraten – THEMA 05/14 EUROPA

Es ist wieder so weit. Die Innere Kanalstraße ist mit Politikergesichtern und Slogans zuplakatiert. Ruckelt und zuckelt man morgens im Berufsverkehr dort entlang, wirkt das wie ein politischer Kreuzweg. Auch die Ikone Angela Merkels hängt alle paar Meter – obwohl man sie nicht wählen kann. Vielleicht gedenkt sogar der eine oder andere gemäß dem Ritus der katholischen Kreuzwegsandacht, den „ungerecht Verurteilten“, den „um ihren Lebensunterhalt Beraubten“, „den „Verspotteten“. Immerhin fiel der Lebensstandard der „Pleitegriechen“ von jetzt auf gleich um 25 oder gar 50 Prozent. Die Demütigungen durch geschichtsvergessene deutsche Politiker und Medien gab es gratis. Als 1953 die deutsche Regierung auf Knien auf die Londoner Schuldenkonferenz kroch, stimmte auch das im Zweiten Weltkrieg arg geschundene Griechenland einem Schuldenschnitt zu.

Aber zurück zur Europawahl, die schon eine merkwürdige Veranstaltung ist. Die Kanzlerin wird plakatiert, aber wählen darf man nur Abgeordnete, die kein Initiativrecht besitzen werden – der „conditio sine qua non“ eines Parlaments, will es nicht nur „Quasselbude“ sein. Seit dem Vertrag von Lissabon hat das Europaparlament (EP) ein paar Rechte gewonnen, aber ein vollwertiges Parlament, das Gesetze einbringen kann, ist es nicht. Vielleicht ist es deshalb auch nicht die Heimat politischer Gestalter, sondern eher ein Abstellgleis ausgemusterter nationaler Politiker. Wer es zuhause nicht mehr bringt, kommt nach Europa. Entsorgung durch Versorgung. Teuer aber harmlos.

Humorlos reagieren Bürger und erstaunlicherweise auch Politiker beim Thema Europa, wenn die Rede vom liebsten Hassobjekt ist: vom Bürokraten. Der ist in seiner Brüsseler Ausformung noch diabolischer, herrschsüchtiger, regulierungswütiger und realitätsferner als seine nationalen und kommunalen Wiedergänger. Das liebste Beispiel für den „Blödsinn“ der Eurokraten ist die berühmte Verordnung (EG) 2257/94. Das ist die mit den Bananen und dem regulierten Krümmungsgrad. Die Verordnung gibt es, doch die Sache mit der Krümmung ist einer von etlichen EU-Mythen, die regelmäßig zum Tiefflug über Stammtische oder durch politische Festzeltveranstaltungen ansetzen.

Die Wirkung dieses Bierzelt-Populismus zeigt eine Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2011: 36 Prozent der Befragten begründeten ihre „EU-Skepsis“ und 41 Prozent ihre „Ablehnung der EU“ damit, dass „weitreichende politische Entscheidungen von Beamten ohne demokratische Legitimation getroffen“ würden. Gegenfrage: Wer hat unsere nationalen Finanzbeamten oder die Lehrer unserer Kinder legitimiert? Ist es nicht gerade das Wesen des Beamten, dass er nicht demokratisch legitimiert, sondern durch Qualifikation qualifiziert ist? Alles andere wäre doch Wahnsinn! Man stelle sich nur vor, die Beamtenschaft würde mit jedem Regierungswechsel ausgetauscht werden…

Allein beim Blick auf die Zahlen ist die Brüsseler Bürokratie äußerst effektiv und günstig. Im April 2013 waren 23.600 Mitarbeiter bei der Kommission angestellt. Hinzu kamen noch 9.066 befristete Mitarbeiter – den größten Personalposten machen übrigens die Dolmetscher und Übersetzer aus. Insgesamt sind das also knapp 33.000 Mitarbeiter, um die Belange von 28 Mitgliedsstaaten und über 500 Millionen Einwohnern zu managen. Zum Vergleich: Die Stadt Köln beschäftigt rund 17.000 Mitarbeiter bei etwas über einer Million Einwohner.

Effektiv, günstig und ein neuer Typus ist der Brüsseler Beamte. Er ist nicht mehr einem Staat verpflichtet und steht in keinem nationalen Treueverhältnis. Vielmehr denkt und handelt er supranational; seine vornehmste Aufgabe ist es, nationale Interessen und Egoismen zurückzudrängen. Im Brüsseler Beamten bündelt sich ideell die Überstaatlichkeit der EU. Er ist derjenige, der das große Ganze der Union im Blick hat. Auf dem Höhepunkt „der Krise“ waren es die Beamten aus Brüssel, die mit vernünftigen, weil für die Steuerzahler der gesamten Union günstigeren Vorschlägen Konzepte erarbeiteten, mit denen der Krise koordiniert und solidarisch begegnet hätte werden können. Die Stärke der Beamten – ihre Supranationalität! – ist aber zugleich ihr Fluch. Denn den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat, geht es um Ergebnisse, die sie national gut verkaufen können. Europa als politische Union ist da zweitrangig.

Merkel gewinnt keine Wahlen in Europa. Das weiß sie zu genau. Die gewinnt sie nur zu Hause, in Deutschland, darum auch all ihre Plakate. In dieser Logik ist Europapolitik nur die Fortsetzung nationaler Politik auf anderer Ebene. Der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte das begriffen und Merkels europapolitisches Handlungsprinzip auf den Punkt gebracht: „Chacun sa merde!“ – Jedem seine Scheiße!

Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter:
www.trailer-ruhr.de/thema
www.engels-kultur.de/thema



BERNHARD KREBS

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