Eine Castingshow ist das Setting im Hintergrund des Stücks. Gesucht wird: der beste Kölner. Die Bühne zeigt den Vorraum zum Studio. Die Kandidaten werden hingehalten und haben Zeit, sich warm zu machen, sich kennenzulernen, das Publikum schonmal auf ihre Seite zu bringen – und sie gegenseitig niederzumachen.
Natürlich bringt jeder ein (kulturelles!) Steckenpferd mit: Der Gitarrist hat ein Faible für Kölsche Tön, der Anwalt begeistert sich für Oper und Klassik, die Tänzerin trauert um das Tanzforum und lässt – prekäre Lebensumstände in der freien Kulturszene – ihr Kind allein zu Hause. Der Rapper und die Literaturstudentin hadern mit ihrem Migrationshintergrund, haben sonst aber wenig gemein. Er will – street credibility! – den Straßenrap als Kultur anerkannt haben und sie lebt mehr online als im real life. Die Figurenkonstellation gerät als eher erwartbarer Querschnitt der Kölner, der etwas arg auffällig um die Kultur kreist. Interessanter sind die Gesprächsthemen, kulturpolitisch durchtränkt geht es um die Stadt met K: Das Operndesaster, der Klüngel und die Verwaltung, in der nichts voran geht, aber auch die angebliche Weltoffenheit der Kölner bei übertriebenem Lokalpatriotismus werden diskutiert.
Auf einem kleinen Laufsteg ins Publikum darf jeder Kandidat mal von seinen Träumen erzählen und vom Preisgeld träumen. Die anderen spinnen derweil Intrigen, verbünden sich oder lästern herum. Die ständig wechselnden Konstellationen des Mit- und Gegeneinander machen vor allem die Widersprüche der Stadt deutlich. Das Ensemble ist gut aufgelegt und überzeugt, was nicht zuletzt an der ausgezeichneten Vorlage (Autor: Marcus Seibert) liegt. Mit Hang zum pointierten Witz werden hier sehr kurzweilig einige Wahrheiten serviert, die unangenehm zu hören sind – auch wenn man sie einvernehmlich abnickt. Ein treffendes, stimmiges Bild von einem prekären, einem empörenden, einem lebensfrohen Köln. Und wenn das Publikum bei den Kölschen Klassikern mitsingt, wird auch das an der richtigen Stelle gebrochen: Auch der Karneval wird hier entlarvt.
„Do bess ming Stadt“ | R: Heinz Simon Keller
| 8., 10., 18.6. 18 Uhr, 28.6. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 318 059
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