Was hat Frösi, Willy Brands ehemalige Sekretärin, 79 Jahre alt, mit einer jungen schwangeren Moldawin zu tun? Und was das Herz ihrer Zwillingsschwester mit dem Bonner Wasserbauingenieur Lennart? Armin Petras inszeniert mit „blut wie fluss“ Geschichten rund um die ehemalige Bundesstadt am Theater Bonn. Unsere Autorin sah an diesem Premierenabend ein Ensemble, das viel gab – und die eine oder andere Theatersünde.
Auf verschiedenen Zeitebenen entspinnen sich die Geschichten, die Fritz Kater als Auftragswerk für das Schauspielhaus geschrieben hat, und die, wie sich herausstellt, alle irgendwie miteinander verwoben sind. Angefangen in den 1970er-Jahren bei Willy Brandt, der von DDR-Spitzel Guillaume ausspioniert wird, zieht sich die Erzählung über das Bonner Hochwasser 1993 bis hinein ins Jahr 2015. Armin Petras alias Fritz Kater, Autor und Regisseur in Personalunion, lässt eine auktoriale Erzählerin (Lena Geyer) durch den Abend führen. Dramaturgisch ist das Stück in die Todsünden Neid, Habgier, Wollust, Zorn und Co. als Kapitel unterteilt, die Erzählerin springt zwischen den unterschiedlichsten Figurenkonstellationen und Zeitebenen hin und her, folgt den Szenen stets aufmerksam von der Seite und greift zuweilen ins Geschehen ein. Sie erzählt Vieles, das angesichts des historischen Hintergrunds hilfreich sein mag. Doch wird auch weit über die szenische Rahmung hinaus erklärt – ein schmaler Grat zwischen hilfreicher Ausmalung und einem mangelnden Vertrauen in die Vorstellungskraft des Publikums, nicht nur dramaturgisch.
Erst einmal erscheint die Bühne von Tom Musch angenehm universell, sodass sich alle Zeitebenen in ihr verorten ließen: Vorne auf der Bühne gibt es einen Wassergraben, durch den sich die Figuren wühlen, hinten hängt über die gesamte Bühnenbreite ein Fadenvorhang, auf den ab und zu Videos projiziert werden. Doch für alle möglichen Situationen wird die Bühne umgebaut, Möbel auf und abgetragen, sodass deren abstrakte Wirkung immer mehr verloren geht. Insgesamt fallen die künstlerischen Entscheidungen des Abends oft zu Gunsten der (über-)konkreten Illustration aus und die Ausstattung gleitet an so mancher Stelle ins Klischee ab: Die junge „Ausländerin“ trägt ein Blümchenkleid und große Kreolen, eine andeutungsweise queere Figur tritt in einer engen Leo-Leggins auf. Koffer als Zeichen, dass die Figur sich auf der Durchreise befindet, soweit, so überdeutlich.
Das Ensemble allerdings lässt sich von der unfrischen Inszenierung kaum beeindrucken. In dem etwas mehr als zweistündigen Abend geben sie alles, um die Spannung oben zu halten, auch wenn Text und Inszenierung es ihnen schwer machen. Virtuos wechseln sie zwischen Kostümen und Rollen. Dennoch – die Fließgeschwindigkeit von „blut wie fluss“ könnte deutlich höher sein.
blut wie fluss | R: Armin Petras | 14., 22., 26.4., 4., 12., 30.5. 19.30 Uhr, 30.4. 18 Uhr | Theater Bonn | www.theater-bonn.de
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