Alle haben vor irgendetwas Angst, gerade jetzt. Angst vor Corona, vor dem finanziellen Ruin, vor dem Fremden und vor der eigenen Wut. Im Schauspielhaus des Theater Bonn wird dieser Gefühlswelt nun eine Bühne geboten. Regisseur Volker Lösch, der in der Vergangenheit schon mehrfach mit Recherche-Projekten auf sich aufmerksam gemacht hat, zeigt mit „Angst“ alle Facetten dieser Emotion, aber vor allem ihre mitunter gewalttätigen Folgen. Dabei zieht er Parallelen zwischen der Gegenwart und der Zeit um 1630, als in Bonn und Umgebung hunderte vermeintliche Hexen auf brutalste Weise gefoltert und hingerichtet wurden. Ein dramatischer Schachzug – der allerdings nur bedingt aufgeht.
Auf einer großen Drehscheibe, die im Verlauf des Stücks immer mehr in Schräglage gerät, lässt Lösch das Ensemble wüten und toben. Eine eindeutige Rollenverteilung fehlt; vielmehr treten aus dem Chor der Agitatoren immer wieder einzelne Figuren hervor und verschwinden dann wieder in der Masse. Lösch lässt auf diese Weise die Identitäre Jugend zu Wort kommen und Querdenker, „QAnon“-Prediger und Prepper auftreten. Auf der anderen Seite dürfen in einem überlangen Video-Einspieler Apotheker, Journalisten, Transsexuelle und der Bürgermeister von Altena von ihren Erfahrungen mit Anfeindungen berichten. Dazu inszeniert Lösch einen obszönen Hexensabbat und einen Prozess unter der Leitung des kurkölnischen Justizkommissars Franz Buirmann, der letztlich im Absurden endet. Doch wohin führt dieses Panoptikum der Angst? Nirgendwohin, denn mehr als eine erschreckende Dokumentation der Umstände gelingt hier nicht. Doch allein das ist mitunter Lehre genug.
Angst | R: Volker Lösch | Theater Bonn | 23.11. 19.30 Uhr, 25., 28.1.22 | 0228 77 80 08
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