Den Gleichschritt üben sie schon einmal. Einer geht vorneweg mit Stahlhelm, grimmigem Blick und den Säbel präsentierend, die anderen folgen mit der Fahne. Ein paar Jahre später kämpfen diese Kinder auf den Schlachtfeldern Europas. Walter Ballhause hat sie 1933 heimlich an Hitlers Geburtstag fotografiert. Als „Der unsichtbare Fotograf“ machte sich der in Hameln geborene Autodidakt einen Namen. Die Galerie Arbeiterfotografie zeigt mit der gleichnamigen Ausstellung jetzt eine der interessantesten Präsentationen der diesjährigen Internationalen Photoszene Köln.
Ballhause fotografierte mit der geborgten Leica einer Freundin auf der Straße, während die braunen Horden der SA an ihm vorbeizogen. Die Kamera holte er behende aus der Jacke und knipste eilig Szenen, in denen dokumentiert wird, wie Gestapo und SA zusammenarbeiteten. Die auf dem Rücken verschränkten Hände der Männer in Stiefeln oder Regenmantel drücken Selbstzufriedenheit und pure Wichtigtuerei aus. Ballhause besaß einen Blick für Gesten und Bewegungen und entwickelt zugleich ein großes Geschick für einen effektvollen Bildaufbau. So rückt er den Deutschen Alltag vor und nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten unmittelbar an uns heran. Die Gewalt, die in der Luft liegt, wird ebenso spürbar, wie die Neugierde der Kinder, die um die Straßenmusiker herumstehen oder von der Brücke in den Fluss spucken. Faszinierend sind aber auch die Bilder junger Erwachsener, die lächelnd im Gras liegen, Männer und Frauen der SAP, die ganz im Sinne von Ballhause die Hoffnung nährten, dass sich die Deutsche Linke doch noch zu einer geeinten Kraft gegen Hitler finden würde. Ihr Wahlspruch: „Wenn KPD und SPD zusammengehen, muss Adolf Hitler bald stempeln gehen“, würde witzig klingen, wenn er nicht so naiv gewesen wäre. So zeigt die Ausstellung schließlich Ballhauses kleinen Sohn 1949 vor den Ruinen Dresdens spielen.
Durch den alliierten Luftangriff wurden die Prozessakten zerstört, die seine Mitwirkung im Widerstand belegen sollten. Die Fotos, die er heimlich gemacht hatte, waren derweil von seiner Frau im Keller hinter den Kartoffeln versteckt worden. Heute beeindrucken seine Arbeiten durch die Lebendigkeit und die präzisen Kompositionen, mit denen der 1991 verstorbene Ballhause die Atmosphäre in Deutschland vor dem Krieg einfing und dabei immer ein sympathisches Interesse an den Menschen zeigte, deren Alltag er dokumentierte.
Ausstellung bis 29. 9. | Galerie Arbeiterfotografie | Merheimer Str. 107 | geöffnet: Mi-Do 19-21 Uhr, Sa 11-14 Uhr oder nach Vereinbarung | Tel. 0221-72 79 99 | photoszene-koeln.de
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