In einer unscheinbaren Nebenstraße von Köln liegt der Gereonswall 27a. Hier konnte man vom 24. bis 26. November klingeln, das Treppenhaus bis in den obersten Stock hinauf gehen und wurde dann herzlich lächelnd von Steff Adams in ihre Wohnung eingeladen. Das ist „Kommen Sie nach Hause“, eine nicht-kommerzielle Kunstausstellung, bei der von etwa 70 verschiedenen Künstlern sogenannte Nebenprodukte und unfertige Werke in einer privaten Wohnung ausgestellt werden.
Das Unfertige ist eben das Interessante an diesen Kunstobjekten, da es Sachen sind, die der jeweilige Künstler nie in einer Galerie ausstellen würde. Stattdessen würden diese Objekte dem öffentlichen Auge verloren gehen, in einer Schublade verborgen bleiben. Gezeigt werden jedes Jahr zwar hauptsächlich Fotografien, aber auch Plastiken, Mobile, Notizen, Zeichnungen, kleinste Papierschnipsel und Videoprojekte. Diese Nebenprodukte haben sich aus der privaten Wohnung der jeweiligen Künstler in die private Wohnung von Steff Adams begeben, um so in angemessenem Rahmen, nämlich ohne Rahmen, trotzdem Aufmerksamkeit zu erhalten.
Eine der ausgestellten Künstlerinen, Anja Lenze, sagt dazu, dass man in den Arbeiten das Private spüre, „das wiederrum in einer privaten Wohnung ‚öffentlich‘ gemacht wird und sonst häufig in einer klassischen Ausstellungssituation keinen Platz findet“. Ein Beispiel für ein solches Nebenprodukt der Kunst wäre ein ausgestelltes Stück vom Land-Art-Künstler Ralf Witthaus. Er ist bekannt für seine Rasenmäherzeichnungen; in Adams Wohnung findet man jedoch eine Skulptur aus den Stöcken, die Witthaus normalerweise zum Abstecken des Rasens benutzt. Es handelt sich also um ein reines Nebenprodukt seiner eigentlichen Kunst, wird hier aber ganz neu in Szene gesetzt. Witthaus selber sagte, dass sich dank „Kommen Sie nach Hause“ der „eigene Blick auf die Schublade Zuhause ändert“. Die jeweiligen Hintergrundgeschichten zu den Objekten bekommen eine neue Gewichtung.
Die außergewöhnliche und intime Ausstellung erlangt genau dadurch ihren Charme, es ist der Kontrast zum sonst üblichen Museum, sie ist klein, begrenzt, und dennoch offen und so vielfältig, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst hinschauen soll. Überall in der Wohnung gibt es Ausstellungsstücke zu entdecken, und das ist nicht übertrieben: über der Waschmaschine, neben der Zahnpasta-Tube im Badezimmer, über den Türrahmen, neben dem Bett, sogar im Kühlschrank hängt ein Bild. Die ausgestellten Werke sind deshalb so spannend, weil sie nicht fertig oder sogar ohne Intention entstanden sind. Man fragt sich, wozu der Künstler es gebraucht hat, wie das fertige Kunstwerk womöglich aussieht, oder ob die Arbeit sogar verworfen wurde. Jedes Stück erzählt somit eine viel tiefere und vor allem persönlichere Geschichte hinter der Kunst. In gewisser Weise ist die Ausstellung auch ein Protest gegen den Verkaufscharakter üblicher Kunstausstellungen. Neben- und Abfallprodukte des künstlerischen Schaffens werden gezeigt, es sind Ideen und Entwürfe, die eben nicht des Geldes wegen ausgestellt werden.
Schon seit 1999 organisiert Steff Adams „Kommen Sie nach Hause“; die Ausstellung findet immer zuerst bei ihr in Köln statt und wandert dann über die ganze Welt. Bisher war das Format schon zu Gast in Amsterdam, Beirut, New York, Tokio und vielen weiteren Städten. Die Idee zu dieser Form der Sammelausstellung kam Adams, als sie ihre eigenen Werke zeigen wollte, diese jedoch nicht passend für eine Galerie empfand. Zusammen mit befreundeten Künstlern entstand somit zum ersten Mal diese Sammelausstellung in Adams privater Wohnung.
Für sie ist es schon lange nichts Ungewöhnliches mehr, über einen dreitägigen Zeitraum zum Teil wildfremde Menschen in ihre private Wohnung zu lassen. Man muss eben auch der Typ dafür sein und „gerne Besuch bekommen“. Da sie die bei sich ausgestellten Stücke gar nicht selber anordnet und aufhängt – dafür ist ein vierköpfiges Team verantwortlich – ist es für Adams selber jedes Jahr auch wieder eine Überraschung, an welcher Stelle sie plötzlich welches Werk vorfindet.
Das hier trotz öffentlich ausgestellter Kunst weiterhin normal gelebt wird, zeigt sich auch: Ein Topf mit Suppe steht auf dem Herd, im Badezimmer liegen benutzte Handtücher. Es ist der absolute Kontrast zu einem steifen und formalen Museum, stattdessen wird man bei Adams in eine Art ‚Hausmuseum‘ eingeladen. Sie findet es eben „spannend in Kunst zu leben“ und das merkt man der Ausstellung auch an. Als nächstes soll die Ausstellung nach Venedig wandern.
Sammelausstellung „Kommen Sie nach Hause“ | 1x im Jahr | www.kommensienachhause.de
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