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Moderatorin Anja Backhaus (l.) mit Katja Hermes (Sound Diplomacy)
und Heiko Rühl (KlubKomm)

Unliebsame Nachbarn

24. August 2017

c/o pop-Panel „(Club)Kultur in Gefahr“ – Spezial 08/17

„Als ich dahinging, hießen sie noch Diskotheken“, sagt der Bundestagsabgeordnete Karsten Möring (CDU) in der von Anja Backhaus moderierten Diskussion in der IHK, wo die c/o pop Convention stattfand. Doch ist es weniger das begriffliche Wirrwarr, das die vielfältige Clubkultur beutelt – es geht hier vorwiegend um Live-Spielstätten –, sondern es sind die neuen Nachbarn in immer dichter bebauten Städten, die vor allem zur Nacht ihre Ruhe haben möchten. Junge Menschen ziehen in die Großstadt und wollen ein urbanes Lebensgefühl vorfinden, andererseits will niemand, dort wo er wohnt, Müll und Lärm ausgesetzt sein. „Das ist das Problem, vor dem Politik steht“, sagt Martin Dörmann (SPD) am Freitag: „Man muss eine Balance herstellen.“ Da derzeit die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums eine Priorität sei, werde es in Hinblick auf die Erhaltung von Musikclubs „sehr schwer sein, Änderungen auch rechtlicher Art herbeizuführen“.

Das Ergebnis: „Es ist sicherlich zu beobachten, dass neue Club-Eröffnungen und gerade auch temporäre Zwischennutzungen – mal legalerer, mal illegalerer Art – immer weiter an den Stadtrand hinauswandern“, sagt Soziologe Heiko Rühl, der eine Studie zu Kölner Clubs durchführte. Inzwischen werde die Äußere Kanalstraße überschritten und in Gebiete mit schlechter ÖPNV-Anbindung vorgedrungen. – Laut Martin Dörmann sei es aber prinzipiell ein Ziel der Kommunen, „Jugendkultur in den Innenstädten zu halten“.


Karsten Schölermann von der LiveKomm stößt in der Politik oft „auf Beton“

Dass es Veranstaltern bei steigenden Mieten auch um die Kosten geht, ist klar. Karsten Schölermann vom Vorstand der LiveKomm (Verband der Musikspielstätten) erklärte, dass sich etablierte Clubs laut einer aktuellen Analyse gerade einmal selbst finanzieren. So seien durch Eintrittsgelder in der Regel kaum die Honorare für Künstler gedeckt, für die eigene Finanzierung, GEMA und Steuern müssten die wiederum besteuerten gastronomischen Einnahmen ausreichen. „Unsere Betriebe machen im Schnitt 1% Umsatzrendite.“ Schölermann sei daher mit 12.000 Euro Gewinn bei 1,2 Mio. Euro Umsatz im Jahr bei seinem Hamburger Club „glücklich“. Man könnte sich aber keine Fehler leisten und hätte kein Geld für Investitionen etwa in eine zusätzliche Lärmschutztür, wenn nebenan Wohnungen entstehen. Lärmschutz könne einen Club 50.000 Euro kosten.

Den Anspruch auf Schutz vor Lärm hat in Deutschland jeder, weshalb es auch immer wieder zu Klagen gegen Veranstalter kommt, die neu eröffnen oder es mit neuen Anwohnern zu tun bekommen. „Dann ist es ganz schnell der Fall, dass eine Person ausreicht, um einen Kulturbetrieb, der da seit Jahren oder Jahrzenten, Tausende oder Hunderttausende Leute unterhalten und kulturell gebildet hat, auf einmal zumachen muss“, sagt Heiko Rühl.


Kölner Bundstagsabgeordnete Karsten Möring (CDU) und Martin Dörmann (SPD)
mit Anja Backhaus

Da der Bund nicht allzu viel tun kann und auch die Spielräume der eher zuständigen Kommunen begrenzt sind, ist man für die friedliche Koexistenz von Nachtkultur und Wohnen vorwiegend auf kluge Einzellösungen angewiesen, die vor Ort stattfinden. Etwa am Gebäude 9, das beinahe per Flächennutzungsplan von einem Gewerbegebiet in ein Mischgebiet übertragen worden wäre: „Die Erkenntnis aus langen Diskussionen war, dass es am besten Gewerbegebiet bleibt, und dann haben wir viel bessere Möglichkeiten, da zu einer Lösung zu kommen“, so der Gebäude-9-Betreiber Jan van Weegen aus dem Publikum. Mit dem für eine Wohnbebauung zuständigen Investor sei man dabei, sich auf eine Lärmschutzwand zu einigen, deren Kosten der Investor trage.

Katja Hermes von Sound Diplomacy weiß aus ihren Vermittlungs-Erfahrungen, dass es immer am besten sei, „alle an einen Tisch“ zu holen. Dabei sei es nötig, zuständige Ansprechpartner von städtischer Seite dabei zu haben, ob es sich nun um einen „Nachtbürgermeister“ (wie in Amsterdam) oder eine „Task Force“ handle. Eine „Music Venues Task Force“ berief der Londoner Bürgermeister 2015 ein, um dem rasanten Schwund von Spielstätten ein Ende zu setzen. In vielen anderen Städten seien bei Problemen gar keine Ansprechpartner bekannt, so Hermes, und die Zuständigen würden folglich auch viel zu spät eingreifen. Karsten Schölermann fügte an: „Es wird viel zu wenig diskutiert!“

Der Vergleich mit der subventionierten Hochkultur bringt Veranstalter von Live-Musik immer wieder zum Rasen. Dass man aufhören müsse, Musikclubs als „Vergnügungsstätten“ zu besteuern – ein Teil des begrifflichen Wirrwarrs –, schienen auch die Politiker Dörmann und Möring zu unterschreiben. Schölermanns Hinweis, dass man mit der ermäßigten Mehrwertsteuer auf Getränke, wie man sie in „Kulturbetrieben“ zahle, die Finanzierung von Clubs ein für alle Mal erleichtern könnte, war für die Politiker leicht zu verdauen, zumal er keine Subventionierung fordert. Die bis zu drei Prozent Subvention, die man auf kommunaler Ebene erreichen könne, seien zwar wichtig, so Schölermann, allerdings im Vergleich zur Hochkulturförderung „ein Witz“.

Musikveranstalter würden zu Unrecht als Wirtschaftsbetriebe betrachtet, während sie wichtige soziale Funktionen erfüllen. „Livekultur holt die Jugend von der Straße.“ Bau-Investoren wüssten Veranstalter-Aktivitäten wie Drogenaufklärung derzeit noch nicht zu schätzen. „Man muss den Leuten klarmachen, dass wir nicht die Zerstörer des Gemeinwesens sind, sondern die Bewahrer, und dass dort, wo wir sind, eben kein Messerstecher um die Ecke kommt und es wesentlich sicherer ist, als wenn sie da nur einen Kiosk oder Supermarkt hinstellen.“

Dass man zu einer höheren Wertschätzung der Musikclubs gelangen müsse, findet auch Katja Hermes, da sie das städtische Leben bereichern. Von Umsätzen und Vorteilen für das Standortmarketing abgesehen, seien Clubs ein Treffpunkt. „Musik bindet viele verschiedene Szenen und Menschen ein, die sonst nicht an solchen Orten zusammenkommen würden.“ In denselben Gebäuden würden auch oft Proberäume oder Studios zu finden sein und tagsüber Veranstaltungen etwa mit Kindern stattfinden.

Das blieb dann auch der Konsens: Eine höhere Wertschätzung der Nachtkultur ist möglich und an der Zeit. Damit würde auch in den Kommunen alles einfacher. Derzeit lässt sich mit etwas gutem Willen, Diplomatie und Respekt gegenseitiger Interessen und bereits vieles zufriedenstellend klären, ohne dass auf Lösungen aus Berlin gewartet werden muss.

Text/Fotos: Jan Schliecker

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