Die zehn Musiker des Tabadoul Orchestra tragen diesmal nicht etwa Masken, sondern wirken mit ihrer schwarzen Kleidung recht seriös. Schließlich ist es für sie das erste Mal in der Philharmonie. Doch wenn die Multi-Instrumentalisten aus Köln, der Türkei, Ägypten und dem Libanon ihre pralle Mischung aus Gypsy und Arabian, angereichert mit E-Gitarren-Sounds, abliefern, entfaltet sich eine musikalische Vielfalt und Dynamik, wie sie die Philharmonie wohl schon lange nicht mehr erlebt hat. Das Publikum durchläuft dabei eine spannende musikalische Reise – von russischer Polka über arabische bis hin zu europäischen Klangwelten – anmoderiert durch den charismatischen Gitarristen Raimund Kroboth. Mittels eines virtuosen Solos wird jedes einzelne Instrument vorgestellt, so dass selbst Xylophon-Hasser plötzlich Liebe für ein Instrument entwickeln, das sie ursprünglich vielleicht eher mit musikalischem Vorschulunterricht assoziierten. Dann fängt der libanesische Sänger Rabih Lahoud auch noch an, von seinen Kindheitserinnerungen zu erzählen, und spätestens, wenn aus dem Mund des eher zierlichen Musikers gewaltige Arien erklingen, wird es sehr gefühlvoll. Auf einzigartige Weise gelingt es den multi-nationalen Musikern, arabische Stilrichtungen mit Klängen der Moderne verschmelzen zu lassen. Eine Tradition, die sie sich bei Mohammed Abdel Wahab, einem der innovativsten Komponisten der arabischen Welt, abgeschaut haben. Und das mit Erfolg – der Dialog zwischen der arabischen Welt und der europäischen scheint hier gelungen. Wenn auch nicht weltweit, so zumindest an diesem Abend in der Kölner Philharmonie. Dementsprechend groß ist auch der Applaus, bevor das Tabadoul Orchestra an das junge Quartett Bukahara übergibt, das nicht etwa hinten wegfällt, sondern die hoch angelegte musikalische Messlatte mit einer fulminanten Melange aus Reggae, Ska, Folk, Balkan und Jazz durchaus halten kann.
Charmant sind bereits die Eingangsworte durch Sänger und Gitarrist Soufian Zoghlami, der mit seiner kleinen Gestalt, aber erstaunlich rauen Stimme überrascht: Im gediegenen Saal der Philharmonie auftreten zu dürfen, sei für sie eine ehrenhafte Premiere, um daraufhin gleich ganz unverblümt zu fragen, ob jemand eventuell ein Bier für ihn bereithalte, während Posaunist Max offensichtlich große Probleme damit hat, sein riesiges Instrument aufrecht zu halten. Lacher auf Seiten des Publikums. Die vier in Köln und Berlin angesiedelten Jungs von Bukahara, die deutsche, palästinensische, schweizerisch-jüdische und tunesische Wurzeln haben und sich an der Kölner Musikhochschule kennenlernten, möchte man am liebsten direkt auf ein Bier bei sich zuhause einladen, so sympathisch kommen die einstigen Straßenmusiker rüber. Mehr noch: Das Publikum ist von den verblüffend vielfältigen und analogen Beats so begeistert, dass es ad hoc zu tanzen anfängt. Bukahara bewegt eben. So wird die Philharmonie kurzerhand in eine vibrierende Tanzfläche umfunktioniert.
Tabadoul & Bukahara – auf mehreren Ebenen ist an diesem Abend ein grandioser Dialog gelungen: auf musikalischer Ebene genauso wie auf kultureller. Nichts ist Widerspruch. Alles geht zusammen.
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