Ende März übte die Bundespolizei in St. Augustin einen Einsatz für Hundertschaften. Ein Bus mit Fußballfans ist an der Grenze, die Polizei macht sich bereit für einen „Zugriff“. Übungen wie diese sind der Normalfall, die Fußballfans haben es geschafft. Vom 12. Mann zum Feindbild Nr.1 – wie schon Autonome und Atomkraftgegner vor ihnen.
Ein Wandel, der ein wenig merkwürdig daherkommt. Denn wie unsicher ist der Besuch eines Fußballspiels eigentlich? Von einem „zunehmend höheren Niveau“ bei gewalttätigen Ausschreitungen in Spielen der 1. und 2. Bundesliga spricht die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze. 612 Bundesligaspiele mit 18,7 Millionen Zuschauern werteten die Beamten in der letzten Saison aus. Das Ergebnis: Bei diesen Spielen gab es 1.142 Verletzte durch Gewalttaten, darunter 235 Polizisten. Ob diese Verletzungen durch Fans oder die Polizei verursacht sind, weist der Bericht nicht aus. Auf 18.700.000 Stadionbesuche kommen also 907 Verletzungsfälle durch Gewalt, das sind 0,0049% aller Stadionbesuche. Konkret: Pro verletzten Stadionbesucher geht mehr als die durchschnittliche Besucheranzahl des 1.FC Köln (47.719) unversehrt nach Hause. Und an Weiberfastnacht stellte die Polizei alleine in Köln 142 Körperverletzungen fest. Lange Statistik, kurzer Sinn: Der Stadionbesuch ist sicher. Punkt.
Aber was erklärt dann die Hysterie rund um den Fußball und seine Fans? Ist es die gefühlte Unsicherheit, die jede Debatte über Sicherheit im öffentlichen Raum beherrscht? Falls ja, dann hat sie nicht dazu geführt, dass weniger Leute zum Fußball gehen. Die Zuschauerzahlen in der Bundesliga steigen seit fast zehn Jahren. Oder ist das Reden über Fußballgewalt nur das Produkt von Massenmedien auf der Suche nach Publikum, für die Fußball-Ultras auch mal zu den „Taliban der Fans“ (Sandra Maischberger) werden? Aussagen dieser Qualität findet man überall, meist mit Fans im Schein von bengalischen Feuern illustriert. Genau an diesen Feuern entzündet sich der aktuelle Konflikt. Im November 2011 verabschiedete der DFB ein Papier, dass die Benutzung von Bengalos in Fußballstadien verbot. Seitdem herrscht ein offener Konflikt mit Teilen der Fanszene, der sich im Winter mit der Einführung des Sicherheitskonzepts durch den DFB noch verschärfte. Fangruppen kündigten einen Stadionboykott an. Ein Kompromiss, zum Beispiel ein kontrolliertes Abbrennen von Bengalos in bestimmten Zonen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt, ist nicht in Sicht.
DFL und DFB auf der einen, Fangruppen auf der anderen Seite. Wie die Fußballverbände ihre besten Kunden ignorieren, dürfte vermutlich einmalig sein. Aber die Unzufriedenheit der Fans wäre auch verpufft, wenn sie sich nicht organisiert hätten. Seit 1993 ist das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) die Dachorganisation verschiedener Fangruppen, die Öffentlichkeitsarbeit macht, Fankongresse veranstaltet und gegenüber dem DFB als Ansprechpartner auftritt. Getragen aber wird das Bündnis von Fans vor Ort. Und genau hier beginnt die Ratlosigkeit. Die Polizei unterscheidet Fans nach den Kategorien A (friedlich), B (gewaltbereit/-geneigt) und C (gewaltsuchend). Soziologen sprechen von „konsumorientierten“, „fußballzentrierten“ und „erlebnisorientierten“ Fans. Und die Fans selbst? Sicher, es gibt eine gewaltbereite „Hooliganszene“, aber sie ist relativ klein und eher um Geheimhaltung bemüht. Die organisierten Fans aber beschreiben sich als „Supporter“ oder „Ultras“. Erstere haben eine Anschrift, einen notariellen Eintrag im Vereinsregister und den Segen der Vereinsleitungen. Zweitere betonen ihre Unabhängigkeit von Verein und Verband, sehen Kommerzialisierung und „Eventisierung“ des Fußballs kritisch. Da sind Konflikte mit den Funktionären von DFB und DFL vorprogrammiert.
Ihr Selbstbild haben die deutschen Ultras den Ultras aus Italien entliehen. Die „Fortuna Eagles“ aus der Kölner Südstadt, eine der ersten deutschen Ultragruppen, haben sich nach den Lazio Eagles von Lazio Rom benannt. Im Mittelpunkt des Ultra-Daseins steht der eigene Fußballverein. Existenziell ist hierbei die Abgrenzung vom „Wochenend-Fan“, der lediglich das Stadion besucht, aber in der restlichen Freizeit nicht viel Zeit für den Fußball aufbringt. Ultras treffen sich dagegen regelmäßig, designen Banner oder die großen Choreografien vor Spielbeginn, die bis zu mehreren tausend Euro teuer sein können. Nicht ganz zu Unrecht beschreiben sich Ultragruppen gerne als diejenigen, die die Stimmung im Stadion hervorbringen. Sie denken sich Gesänge aus, sie initiieren die „Welle“. Außerhalb des Spielfelds veranstalten sie Diskussionsabende, bringen ein Fanzine heraus oder organisieren Proteste gegen zu hohe Eintrittspreise. All dies gelingt den Ultras, weil sie überwiegend bildungsbürgerlich geprägt sind und ihre Ressourcen im Dienste der Sache „Fußball“ mobilisieren können. Der durch und durch kommerzielle Sport wird so zum Versprechen eines sozialeren, emotional erfüllenden Miteinanders, das er nicht einlösen kann. Denn wie der Rest der Gesellschaft ist auch die Ultraszene nicht frei von Rassismus, Sexismus oder Homophobie. Die Kölner FC-Ultragruppe Coloniacs kontrolliert deshalb den Beitritt zur Gruppe streng. Aber damit sind sie nicht die Regel. „Wir haben nicht genügend Rückhalt erfahren“, schrieben die AC Ultras aus Aachen im Januar in ihrer Auflösungserklärung. Nazis hatten der linken Gruppe das Leben schwer gemacht, andere Gruppen haben dies toleriert, weil sie sich selbst als „unpolitisch“ verstehen. Auf diese Weise können Neonazis nicht nur in Aachen immer wieder die Fanblöcke zur Rekrutierung nutzen. Weibliche Ultras müssen dagegen erst eine Reihe von Vorurteilen überwinden, z. B. dass sie nur wegen der Männer und nicht wegen des Spiels auf der Tribüne stehen.
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