Das Jahr geht zur Neige, noch einmal wird eindringlich an den Ersten Weltkrieg gedacht, an seinen Beginn und seine sinnlosen Opfer. Das Käthe Kollwitz Museum in Köln zeigt die „Apokalypsen“ daheim und an der Front. Die zweigeteilte Ausstellung stellt das Werk der Käthe Kollwitz den Kriegsdruckgafiken der wichtigsten deutschen Expressionisten gegenüber. Sie alle waren einst in die Schlachten gezogen. Einige blieben auf den Schlachtfeldern zurück. Wie auch Kollwitz‘ Sohn Peter, der euphorisch und patriotisch nach Flandern auszog und dort nach einer Woche am22. Oktober 1914 fiel. „Wäre es mir oder Vater möglich gewesen für ihn zu sterben, daß er leben durfte – oh wie gern wären wir gegangen“, schrieb die Mutter an ihren zweiten Sohn Hans. Doch zu spät, gegen den Willen des Vaters hatte sie sich für den Einsatz Peters für Gott und Vaterland eingesetzt, ein Umstand der sie Zeit ihres Lebens verfolgte und ihr gesamtes künstlerisches Schaffen beeinflusste. Sein 100. Todestag ist Anlass der Ausstellung.
Einer, der das Schlachten überlebte, war Otto Dix. Seine 1924 entstandene Serie „Der Krieg“ zeigt drastisch den Horror des Gaskrieges und das Leid in den Schützengräben. Er verarbeitet in der Mappe auch den Albtraum der Frontsoldaten nach ihren unmenschlichen Erfahrungen und die Auswirkungen auf die betroffene Zivilbevölkerung. So zeigt „Die Irrsinnige von St. Marie-a-Py“ (Blatt 35) psychische Schäden, ein Schicksal, das auch Dix‘ Künstlerkollege George Grosz teilte, der sich im November 1914 freiwillig zum Kriegsdienst meldete.Sechs Monate später wird er zwar wegen einer Erkrankung als dienstuntauglich entlassen, zwei Jahre später will ihn das Vaterland aber erneut an der Front verheizen. Grosz erleidet einen Nervenzusammenbruch: „Meine Nerven gingen entzwei, ehe ich dieses Mal die Front, verweste Leichen und stechenden Stacheldraht sah.“ SeineMappe „Gott mit uns“, 1920erschienen, zeigt boshaft in neun skizzenhaften Lithographien das Militär als menschenverachtende Zyniker, aber auch die wahren Kriegsgewinnler, wie in: „Die Kommunisten fallen...und die Devisen steigen“.
Rund 150 Papierarbeiten, auch von Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Erich Heckel oder Ludwig Meidner, sind in der Ausstellung direkt über der Sparkasse, die Träger des Museums ist, zu sehen, darunter Arbeiten aus Willy Jaeckels „memento“-Mappe. Beim „Nahkampf“ (1914/15) trifft das Bajonett gerade mitten in den Bauch, irgendwie erinnern viele der Arbeiten an die Gräuel gegenwärtiger Auseinandersetzungen um Land und Hoheit des Denkens. Der Reiz des kriegerischen Messens scheint für Männer unausrottbar zu sein. Das Leid der Mütter auf dem Planeten endlos.
Eine Etage tiefer der „weibliche Blick“ auf den Krieg. Käthe Kollwitz‘ geplantes Denkmal für alle trauernden Eltern, eine Vorzeichnung „die Freiwilligen“, auf der auch ihr Sohn Peter zu sehen ist, aber auch das niederschmetternde Blatt „Die Eltern am Weihnachtsbaum“ (1917). Gleich neben dem Plakat „Nie wieder Krieg“ (1924) liegen in Vitrinen ihre Original-Tagebücher, voller Skizzen und Gedanken und einem einzigen eingeklebten Bild von Peter. Der Feldpostbrief an ihn kam nicht zugestellt zurück. Da war er längst tot.
„Apokalypsen“ | bis 11.1.15 | Käthe Kollwitz Museum Köln | 0221 227 28 99
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