Manche Zusammenhänge sind so logisch, dass man sich fragt, wieso noch niemand zuvor auf sie gekommen ist. Die lit.COLOGNE veranstaltet in jedem Frühjahr ihr Literaturfestival, das in gut einer Woche mehr als 60.000 Besucher in Köln zu prominent besetzten Lesestunden lockt. Jetzt veranstalten Rainer Osnowski und sein Team vom 12. bis 17. Oktober das lit.COLOGNE Spezial. Eine siebenteilige Lesereihe, die sich die Stars der Frankfurter Buchmesse wie Rosinen aus dem Kuchen puhlt.
Während die Verlage am Main den großen Almauftrieb organisieren, schleust die lit.COLOGNE Umberto Eco, Martin Walser, Arnald Ingridason oder Hannelore Elsner eilig in den Intercity, der sie in einer Stunde nach Köln bringt, wo sie dann in der Oper oder am Tanzbrunnen vor großem Publikum ihre neuen Bücher vorstellen. Die Messe in Frankfurt versammelt viele Autoren und viel Publikum in ihren Hallen, aber es werden keine großen Veranstaltungen in die Stadt getragen. Ein Umstand, den Rainer Osnowski schon lange beobachtet, so dass er jetzt sagt: „In Frankfurt ist das Programm ja nicht besser geworden. Wir zeigen, was man machen kann, das wird die Leute zum Nachdenken bringen“.
Tatsächlich kann der Messe nicht das Wasser abgegraben werden, aber eine kleine Umleitung des Promistroms lässt sich schon bewerkstelligen. Die Autoren bekommen in ihren ohnehin dicht gedrängten Terminkalender noch zusätzlich einen Event hineingedrückt. Während der Zugfahrt dürfen sie die obligatorischen Presseinterviews geben. Ausruhen gilt nicht. Aber eine voll besetzte Oper in Köln macht den Autoren vielleicht auch mehr Spaß, als im Hinterzimmer des Messestands ihres jeweiligen Verlegers das 17. Interview zu geben.
Bei gut besuchten Veranstaltungssälen bleibt es nicht; eines der Erfolgsrezepte der lit.COLOGNE besteht in der Pflege des medialen Umfelds. So ist der WDR wieder mit im Boot. Bettina Böttinger wird denn auch die Lesung mit Martin Walser im Klaus-von-Bismarck-Saal moderieren. Sie wird wissen wollen, was der Roman „Muttersohn“ mit Walsers Biographie zu tun hat. Doris Dörrie steht dann bei Randy Crott vor dem Mikrofon, wenn sie erzählt, warum die Protagonistin ihres neuen Romans „Alles inklusive“ so schwer an der Hippie-Vergangenheit ihrer Mutter zu tragen hat. Neben Charlotte Roche, die ihre „Schoßgebete“ selbst vorstellt, kommt mit dem gelehrten Umberto Eco einer der Stars des Literaturbetriebs in die Kölner Oper. Sein Roman „Der Friedhof von Prag“ taucht ab in die Halbwelt der Pariser Metro und verwebt Theorien über die jüdische Weltverschwörung und historisches Material über die Freimaurer Loge zu einer Kriminalgeschichte, die unsere Gegenwart mit der Welt des 19. Jahrhunderts spiegelt.
Über die ersten zwei Jahre hinweg ist das Special der lit.COLOGNE finanziert, mit RheinEnergie und Lanxess hat man potente Sponsoren an der Seite. Und wer Rainer Osnowski kennt, der weiß, dass er keinen Zentimeter gewonnenen Bodens wieder hergeben wird. Die lit.COLOGNE wird uns in konzentrierter Form, als eine Mischung aus Literatur- und Marketing-Spektakel, nun auch im Herbst ins Haus stehen. Wieder einmal verabreicht Osnowski der Szene eine Lehrstunde in Sachen Literatur-Vermarktung und demonstriert zugleich, wie man das Geschehen der Messe aus den Hallen hinaus zu den Lesern verlagert. Jeder hätte darauf kommen können, aber es sind immer dieselben, die es dann auch machen.
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