Am Sonntag, dem 24. September, lud choices zur NRW-Premiere von „Die Mittagsfrau“ ins Cinenova ein. Live dabei: Regisseurin Barbara Albert und Hauptdarsteller Max von der Groeben. Das Interesse an der Literaturverfilmung war groß, denn der Roman von Julia Franck erzählt ungeschönt ein Frauenschicksal, die Geschichte der Halbjüdin Helene, die im Berlin der 20er Jahre eisern das Medizinstudium in Berlin anstrebt, während ihre Mutter dem Wahnsinn und die ältere Schwester dem Morphium verfällt. Die erste Liebe scheitert, Wilhelm, der zweite Mann in ihrem Leben, ist ein Nazi, die Ehe schon bald nur noch Konstrukt gegenseitiger Abhängigkeit. Die daraus resultierende Entfremdung soll sich schließlich auf den gemeinsamen Sohn Peter übertragen.
Ein epischer, wuchtiger und am Ende konsequent unversöhnlicher Roman, den Regisseurin Barbara Albert nah und intensiv verfilmt hat. Getragen wird das Drama von der großartigen Mala Emde in der Hauptrolle. „Die Planung geht bis ins Jahr 2014 zurück“, erinnerte sich Albert gegenüber Filmhistoriker und Kurator Josef Schnelle, der das anschließende Gespräch moderierte. „Ich war begeistert von der visuellen Vorlage. Die Bilder sollen für jede Lebensphase ein eigenes Gefühl herstellen. Die Leichtigkeit, das Verspielte der Kindheit, verbinde ich mit Super 8, in den 20ern geht die Kamera mit den Figuren, ist aber schon distanzierter. Und dann, als Wilhelm Helene einsperrt und ihr Leben klaustrophobisch wird, haben wir den Frame beengt – das Bildformat wird links und rechts enger. Da sind die beiden wie eingesperrt.“
Gegenstand des Gesprächs war natürlich auch die Adaption: Abgesehen davon, dass Albert konsequent aus Helenes Perspektive erzählt und nicht, wie in Prolog und Epilog der Vorlage, aus Sicht ihres Sohnes, fällt auf, dass die Regisseurin den Schluss versöhnlicher gestaltet – nicht nur für Josef Schnelle „eine bessere Auflösung als im Roman“. „Julia Franck hat mich gefragt: Möchtest du das wirklich machen?“, so Barbara Albert. „Das Buch ist da so schön radikal hart am Schluss! Wenn sich Peter seiner Mutter verweigert, das ist ein so starker Moment, weil der Sohn genau das macht, was seine Mutter gemacht hat. Es ist einfach Rache – die ihn aber unglücklich macht. Das finde ich motivisch großartig von dem Roman. Aber ich wollte nicht die Schuld am Ende stehen lassen.“
Albert verwies dabei auf unsere Gegenwart, die gezeichnet ist von Krieg und Klimakrise, in der auch die Filme auf der Leinwand wenig Hoffnung versprühen. „Warum möchte ich einen Film sehen, warum möchte ich einen Film machen? Also eigentlich nicht, um zu sagen, es gibt nur Entzweiung und Hoffnungslosigkeit, sondern wie hier im Film: Obwohl eine Schuld besteht, gibt es vielleicht die Möglichkeit eines Blicks, einer Berührung sogar.“ Oder die Chance, seinem Gegenüber die eigene Geschichte zu erzählen – entsprechend des Titelmotivs, der Legende der Mittagsfrau. Albert: „Diese Mittagsfrau steht dafür, dass du darüber reden musst, wo du herkommst, weil du sonst psychisch krank werden kannst, weil du die Trauer der Familie nicht verarbeitest.“ Albert hat sich selbst ausgiebig mit der Tätervergangenheit ihrer eigenen Familie auseinandergesetzt. „Es ist wichtig, dass ich meine Geschichte erzähle, auch meinem Sohn weiter erzähle, auch wo er her kommt. Wenn du nicht sprichst, bleiben Trauer und Gewalt länger. Alles Unverarbeitete, auch in der Gesellschaft, ist nicht gut.“
Eine Zuschauerin erzählte von eigenen Erinnerungen, geprägt von Erzählungen aus ihrer Vergangenheit als Flüchtlingskind aus dem Osten: Der Vater, von dessen Verbleib man nichts erfährt, die Prügel daheim. Sie kam damit auch auf die Figur des Wilhelm zu sprechen. „Uns war wichtig, dass wir den Wilhelm nicht nur als böses Nazimonster darstellen“, erklärte Max von der Groeben. „Auch ein Nazi ist ein Mensch: Er lebt in seinem Wertekompass, und trotzdem hat er seine Träume, seine Ziele.“ Jemanden zum Monster zu machen, helfe nicht weiter, pflichtete Albert bei. „Wir müssen begreifen, wer wir sind und wozu wir fähig sind.“
Immer wieder fanden die Anwesenden den Bezug vom Gestern ins Heute. „Wilhelm ist ein gekränkter Mann. Und diese Kränkung des Mannes ist ein Thema, das heutzutage wieder so präsent ist. Warum gibt es heute Gewalt gegen Frauen? Weil auch diese Kränkung da ist. Die Frage ist: Wo kommt diese Kränkung her, und was kann man machen, damit diese Kränkung verschwindet?“ Dass die Regisseurin, ihr Hauptdarsteller und das Publikum fast eine Stunde diskutierten, beweist, dass „Die Mittagsfrau“ ein Film ist, der nach Austausch verlangt. Im Anschluss stellten sich Barbara Albert und Max von der Groeben weiteren Gesprächen im Biergarten des Cinenova.
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