Soll man mit Rechten reden? Glaubt man den Medien in Deutschland, dann lautet die Antwort eindeutig: Ja. Für Einschaltquoten und Klicks nimmt man auch 25 Prozent für die rechtsextreme AfD in Umfragen in Kauf. Dass es auch anders geht, zeigt die Region Wallonien, der französischsprachige Teil Belgiens. Dort haben die öffentlich-rechtlichen Medien bereits vor rund drei Jahrzehnten beschlossen, nicht mehr mit Rechten reden zu wollen. Der „cordon sanitaire médiatique“ (etwa: „mediale Brandmauer“) bietet Menschen, die rassistischen, demokratiefeindlichen Gruppen nahestehen, keine Plattform. Sie werden nicht zu Live-Interviews und Talkshows eingeladen. Eine Berichterstattung findet nur statt, wenn die Aussagen überprüft und eingeordnet werden können.
Und der Erfolg gibt ihnen recht. Bis heute hat es keine rechtsextreme Partei in das wallonische Parlament geschafft. Die Partei „Chez Nous“ blieb bei den vergangenen Wahlen unter zwei Prozent. Welch ein Unterschied zu den flämischen Nachbarn, wo die rechtskonservative Nieuw-Vlaamse Alliantie und der rechtsextreme Vlaams Belang bei der vergangenen Wahl zum flämischen Parlament jeweils rund 20 Prozent erreichten.
Keine Sendezeit für Antidemokraten
Wenn man den Parteien eine Plattform biete, legitimiere man sie, sagt die Politikwissenschaftlerin Léonie de Jonge im Gespräch mit dem Online-Magazin Übermedien. Man erwecke den Anschein: Das sei eine Partei wie jede andere auch. „In der Praxis sehen wir ja auch oft, dass man gar nicht hinterherkommt mit dem Fact-Checking, wenn Vertreterinnen und Vertreter dieser Parteien und Bewegungen zu Wort kommen“, so de Jonge. So hat Donald Trump hat seine Wahlkämpfe mit Hilfe des rechtsextremen Publizisten Steve Bannon und Unterstützung von Fox News und anderer rechtspopulistischer Medien erfolgreich bestritten. Von Bannon stammt der Satz: „Flood the zone with shit.“ Die Präsenz ist demnach ebenso wichtig wie das Verdrängen der Konkurrenz aus der Öffentlichkeit.
Für ihre 2021 veröffentlichte Studie „The Success and Failure of Right-Wing Populist Parties in the Benelux Countries“ hat de Jonge rund 70 Medienmacher:innen interviewt. Sie zitiert darin einen wallonischen Rundfunkmitarbeiter mit den Worten: „Wir Journalist:innen sind die Watchdogs der Demokratie.“ Und diese „Wachhunde“ sind gerade in Wallonien sehr aufmerksam. Schließlich haben sich die überwiegende Mehrheit der privaten Sender und die meisten Printmedien sich dem „cordon“ angeschlossen. Und trotz zahlreicher Proteste rechter Parteien und Organisationen wurde die Praxis letztlich vom belgischen Staatsrat bestätigt.
Der „cordon” geht auf eine Entscheidung des französischsprachigen öffentlich-rechtlichen Senders RTBF zurück. Er verweigerte dem Front National Belge, einer Kopie des ehemaligen französischen Front National, vor den Wahlen 1994 Auftritte, da er die Partei als rassistisch und xenophob bewertete. Dies führte zu einigen Klagen, weshalb der RTBF ein festes Prozedere einführte, um die Programme und Veröffentlichungen von Parteien zu analysieren. 1999 wurde gerichtlich entschieden, dass der Sender das Recht hat, Sendezeit für jene Parteien zu verweigern, die er als undemokratisch ansieht. Der „cordon“ wurde formell eingeführt und ist seitdem für Wahlkampagnen bindend, viele Redaktionen halten sich aber auch außerhalb des Wahlkampfes daran.
Soziale Probleme, aber kein Rechtsruck
Die wirtschaftliche Situation in Wallonien ist übrigens alles andere als rosig. Die Arbeitslosenquote liegt über dem europäischen Durchschnitt und das durchschnittliche Einkommen darunter. Glaubt man Expert:innen ist genau dies Nährboden für rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen. Doch wenn niemand die Bühne bekommt, Hass und Hetze im großen Stil zu verbreiten, kommt diese bei der Bevölkerung auch nicht an.
In Deutschland und anderen Ländern der EU kann man davon nur träumen. Auch der Aufstieg der AfD zur aktuell zweitstärksten Kraft wurde durch die stetige Präsenz in den Medien begünstigt. Und es ist nicht die Präsenz allein, es ist auch die Hilflosigkeit zahlreicher Journalist:innen, die Politiker:innen der rechtsextremen Partei inhaltlich zu stellen. Im Gegenteil: Die Inhalte der AfD haben in den Redaktionsstuben längst Einzug gehalten. Es vergeht kaum eine Woche, in der in deutschen Talkshows oder in den politischen Formaten nicht prominent über Migration gestritten wird – natürlich nur im Zusammenhang mit Begriffen wie: Missbrauch, Bedrohung und Kriminalität.
Das hat eine lange Vorgeschichte: Im Oktober 2015 trat ein damals noch recht unbekannter Politiker der AfD in der Talkshow „Günter Jauch“ auf und begann mit den Worten, er sei aus „tiefer Liebe zu seinem Land“ einst in die Politik gegangen. Während er sprach, zog er eine Deutschlandflagge aus der Innentasche seines Anzugs und hängte sie über die Lehne seines Sessels. Die Anwesenden schauten recht hilflos zu. Der Politiker, der damals zur besten Sendezeit Millionen von Zuschauer:innen im Land seine „patriotische Haltung“ präsentierte, heißt Björn Höcke. Damals war er noch unbedeutender Fraktionschef der AfD in Thüringen, mittlerweile zählt der Repräsentant des offiziell aufgelösten rechtsextremen „Flügels“ zu den bekanntesten Köpfen der Partei, die weiterhin ihre Aufritte im Fernsehen bekommt, sich aber trotzdem darüber beklagt, dass sie von den angeblichen „Systemmedien“ ignoriert oder gar zensiert werde.
Wirksam auch gegenüber etablierten Parteien?
Doch würde es auch etwas nützen, die Strategie gegenüber bereits etablierten Parteien zu ändern? Ein Blick nach Luxemburg gibt eine unentschlossene Antwort. Dort gibt das Magazin „forum“ der rechtspopulistischen ADR seit rund zwei Jahren keine Bühne mehr. Die ehemalige Rentnerpartei hat sich seit ihrer Fusion mit der Bewegung Wee2050 immer weiter radikalisiert. Das Posten von Hitler- und Holocaust-Witzen und das Tragen von Nazi-Symbolen wurden als „dumme Witze“ und Jugendstreiche (von Erwachsenen!) verharmlost, dazu verbreiten Politiker:innen der Partei Hassreden auf Frauen, LGBTQI-Personen, Geflüchtete und Muslime. In einer Erklärung zahlreicher forum-Mitarbeiter:innen vom September 2023 heißt es: „Die Unterzeichner sind (…) der Meinung, dass man der ADR in Zukunft keine Bühne mehr geben sollte, weder im Heft noch im Rahmen eines public forum.“ Der „cordon” nach wallonischem Vorbild soll nicht nur von den Parteien, sondern auch von den Medien angewandt werden. Bei den letzten Wahlen erhielt die Partei trotzdem rund zehn Prozent der Stimmen. Von Zahlen wie in Deutschland, Österreich oder Italien kann die ADR allerdings nur träumen.
Einen Versuch, einen „cordon” auch in Deutschland einzuführen, ist es allemal wert. Es bräuchte dann auch keine lautstarken Proteste mehr, um das ARD-Sommerinterview mit AfD-Chefin Alice Weidel zu stören – weil es schlicht nicht stattfindet und keine Sendezeit vergeudet wird.
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