„Das bessere Leben“ als Wirtschaftsthriller zu bezeichnen, würde dem Roman nicht gerecht werden. Betrachtet man die Hauptfiguren des Romans näher, wäre das aber eine einfache und offensichtliche Kategorisierung: Da wäre zum einen Sylvester Lee Fleming, ein Finanz-Investor und Risiko-Berater. Er ist einer dieser Anzugträger, von denen niemand genau weiß, was sie eigentlich machen, die aber einen Haufen Geld haben, oder zumindest darüber verfügen können. Einer der Menschen, die wahnwitzige Investitionen versichern, in Ländern, die man wohl als politisch instabil bezeichnen könnte. Wer an diesen Investitionen verdient, ist klar – die Menschen in den Anzügen sind es, nicht die Bewohner des Landes. Oder auch Menschen wie der zweite Protagonist des Romans Jochen Brockmann, einst ein erfolgreicher Sales Manager, der sich jetzt verspekuliert hat und in einer Abwärtsspirale befindet, was wohl in der Natur des Systems liegt, dessen Teil er irgendwie geworden ist. Wie konnte das nur passieren?
Denn die beiden waren nicht immer so. In den Siebzigern haben sie auf Studentendemos protestiert, Gras geraucht, absolut linksorientiert und absolut klischeebehaftet, aber eben anders als im Jahr 2006, in dem die Geschichte von „Das bessere Leben“ einsetzt und die Protagonisten ihre damaligen Ideale wohl längst über Bord geworfen haben. Der Moderator des Abends und Herausgeber des Literaturmagazins „Schreibheft“, Norbert Wehr, möchte wissen, wie sich eben diese Vergangenheit, in der Gegenwart der Figuren konstituiert. Peltzer hat ein historisches Ereignis gefunden, mit dessen Hilfe er seine Protagonisten unsichtbar miteinander verbindet: Ohio, 1970. Vier Studenten sterben bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg, als die Polizei in die Menge schießt. Bis heute ist ungeklärt, wer den Schießbefehl gab, niemand wurde zur Rechenschaft gezogen.
Ulrich Peltzer liest im Literaturhaus zwei Textstellen vor, die sich um dieses Ereignis drehen. Sylvester Lee Fleming war dort, er erinnert sich in einer schlaflosen Nacht in São Pauloan das Massaker und an eines der Opfer, in das er damals verliebt war. Später sitzt die zweite Hauptfigur Jochen Brockmann in einer Ausstellung der Künstlerin Renée Green („Partially buried in three parts“), die eben dieses Massaker verarbeitet. Die Verbindung zwischen den beiden Figuren wirkt willkürlich, aber so ist das Leben nun mal leider oft: zufällig und bedeutungslos. Peltzer erklärt selbst, er möchte keine politische, didaktische Literatur schreiben, nein, er möchte eine problematische Gegenwart als komplexes Feld darstellen, sehe sich selbst auf der Suche nach Lösungen oft ratlos. Ebenso wie die Figuren in „Das bessere Leben“, die sich immer wieder wehmütig an ihre Vergangenheit erinnern, vielleicht auch weil sie ihre Gegenwart kaum noch ertragen können.
Aus Rückblenden und Erinnerungen konstruiert Peltzer eine komplexe Geschichte der Gegenwart, die zwar nicht verrät, wo das bessere Leben zu finden ist, jedoch eine ganz eigene Art von Wirklichkeit darstellt.
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